Kinder des Donners
erinnere, während des spanisch-amerikanischen Kriegs. Ich glaube, sie könnte von der Vitagraph-Gesellschaft gestammt haben — für die O. Henry Manuskripte verfaßte —, aber ich bin nicht sicher. Jedenfalls war es um diese Zeit herum. Man fälschte Nachrichten im Studio, indem man Sil- houetten und Ausschnitte benutzte, und das Publikum in den Vereinigten Staaten und sogar außerhalb wurde so lange zum Narren gehalten, bis es klatschte und ju- belte. Später, während des Ersten Weltkriegs ...«
Jakes Gesicht verfinsterte sich. Peter legte sich hastig eine Entschuldigung zurecht und überlegte sich gleich-
zeitig, was er Claudia sagen würde, sobald sie hier hin- ausgeworfen worden wären, als er plötzlich merkte, daß er mit seiner automatischen Einschätzung der Lage falsch lag. Jake glühte nicht vor Zorn. Er war ... Ja! Un- glaublich, er errötete, weil ihm jemand auf die Schliche
gekommen war!
»Der Untergang der Lusitania! Sie ... Sie ... Sie ... Oh, verdammte Scheiße! Entschuldigen Sie. Es kommt
nur so selten vor, daß man jemanden trifft, der sich an mehr erinnert als an das, was in der Morgenzeitung stand und am Abend zuvor in den Nachrichten gebracht wurde, und selbst danach muß man heute suchen.«
Claudia lehnte sich zurück und schlug die Beine über- einander, dezent gekleidet wie immer mit einem ihrer klassischen Hosenanzüge; sie besaß fünf davon, soweit Peter bis jetzt mitgezählt hatte, alle in Herbsttönen ge- halten: Gold, Rostbraun, Olivgrün, Weinrot und Pflau- menblau. Heute trug sie Pflaumenblau.
Sie sagte ungerührt: »All das bedeutet doch nur, daß Sie . ..«
Die Nadel im Heuhaufen suchen? Peter dachte daran, was sie bei einer ihrer ersten Begegnungen in London gesagt hatte, und fragte sich, wie er sich so sehr hatte täuschen können.
Doch sie fuhr fort:
»... versuchen, einen alten Trick wieder aufzuwär- men, den man schon früher mit einer weniger raffinier- ten Technik angewandt hat. Damit brachte man in alten
Zeiten das Fußvolk zum Jubeln, als es noch nichts ande- res gab. Glauben Sie im Ernst, Sie könnten damit noch jemandem einen roten Heller aus der Tasche locken, nachdem alle Farbfernsehgeräte, Videorecorder, Hifi- und CD-Anlagen und weiß der Himmel was noch alles besitzen?«
Es entstand eine erschreckend lange Pause — zumin-
dest für Peter, der ihren von Ellen getesteten Handel be-
reits platzen sah. (Warum dachte er ausgerechnet in die- sem Moment an sie?)
Dann ließ Jake die flache Hand auf den Schreibtisch knallen und sprang auf. Während er innerhalb der schulterhohen Wände, die seinen Bereich markierten — nicht größer als Ellens Zimmer zu Hause (schon wie- der!) —, auf und ab wanderte, sagte er:
»Wie, zum Teufel, haben Sie mich nur so schnell durchschaut? — Entschuldigen Sie mich bitte einen Mo- ment. Laura!«
»Ja?« — erklang es wie aus der Luft.
»Während der nächsten Minuten bitte absolut keine Störung! Es ist mir egal, wenn es seine Ultrahocherhitz-
te Allmächtigkeit persönlich ist!«
»Klar, Jake, wird gemacht!«
Keine Störung? In einem Großraumbüro?
Dann geschah etwas in der Luft; Peter bekam davon einen Druck auf die Ohren, und er mußte gähnen, um den Druck in seinen Gehörgängen zu lindern. Voller Entsetzen erkannte er, daß dies die Auswirkung der Technik war, über die er schon gelesen und von der er
gehört, die er jedoch noch nie erlebt hatte: eine Schall- barriere.
Unbeeindruckt, als ob das nicht aufregender wäre als
das Gefühl, das man im Flugzeug beim steilen Aufstei- gen hat, heftete Claudia den Blick mit der implantierten Iris starr auf Jake. Er reagierte wie ein Kaninchen, das von einer Schlange fixiert wird und mitten im Lauf in- nehält, um sich ihr zu stellen.
»Verflucht — Frau!« Das letzte Wort war befrachtet mit Gehässigkeit. »Sie haben meinen schwächsten Punkt ins Visier genommen!«
Es war noch zu früh, als daß Jake schon betrunken sein konnte, dachte Peter. Und doch ...
»All diese sagenhafte Technik! Und ich verhalte mich
hier wie König Wenzels Page!«
»Merk dir meine Schritte wohl, mein guter Page! Tritt in meine Spuren kühn! Auf daß du findest...«
So weit kam Claudia, bevor Jake sich mit der Faust in die andere Hand schlug und mit dem Fuß auf den Bo-
den stampfte.
»Ja! Ja! Ja! Ich brühe die Stories von anderen wieder auf, weil mein stinkender Boss nicht annähernd soviel für ordentliche Auslandskorrespondenten ausspuckt, wie er für diese Scheißmaschinen auszugeben
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