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Kinder des Feuers

Kinder des Feuers

Titel: Kinder des Feuers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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war ein winziges Eichhörnchen. Im Augenblick, da er es getroffen hatte, hatte ihn ein heißes Glücksgefühl durchströmt. Auch er konnte ein Jäger sein – nicht nur ein Gejagter fremder Verfolger. Auch er konnte töten – und war nicht nur ein Opfer fremder Widersacher. Doch der Triumph war rasch erkaltet: Ein Tier zu erlegen hieß noch lange nicht, dass man vor der Gefahr in Sicherheit war. Es hieß noch nicht einmal, dass man satt wurde. An dem kleinen Eichhörnchen war kaum Fleisch, und sie hatten nicht einmal ein Messer, um das Fell über diesem Fleisch abzuziehen. Mathilda erschrak ob Arvids grober Worte. Er setzte sich neben sie und versuchte seinerseits, Feuer zu machen. Auch ihm gelang es nicht, das Holz war zu klamm.
    »Ohne Feuer können wir das hier nicht essen.« Sie deutete mit angewidertem Gesicht auf das Eichhörnchen und schien fast erleichtert, obwohl auch ihr Magen knurrte.
    »Lieber Himmel, bist du verweichlicht!«, schimpfte er. »Fleisch kann man auch roh essen!« Es ekelte ihn selbst davor, aber das gestand er ihr nicht ein.
    Tränen traten Mathilda in die Augen, aber sie liefen nicht über ihre Wangen. Sie zitterte auch nicht mehr, saß vielmehr so steif, als wäre sie schon erfroren. Wenn er sie nicht wärmte, wäre sie morgen tot.
    Arvid unterdrückte Wut und Scheu, warf das Eichhörnchen auf den Boden und zog sie nah an sich heran. Nach einer Weile begann sie zu sprechen.
    »Es stimmt also, dass dein Vater ein Nordmann war?«
    In jeder anderen Lage hätte er es geleugnet. Doch gemessen an der Ohnmacht, weder Hunger noch Kälte Herr zu werden, war das Grauen, das ihn nach Gislas Enthüllungen befallen hatte, lächerlich gering.
    »Er hieß Thure«, sagte er. »Er hat meine Mutter geschändet. Kurz nachdem sie mich geboren hat, hat sie sich ins Kloster zurückgezogen, aber dort nie wieder ein Wort über ihre Vergangenheit verloren.«
    Gisla hatte lange gezögert, ihm Thures Namen anzuvertrauen, hatte auch nur angedeutet, wie bösartig jener Thure gewesen war, wie wahnsinnig. Im Kloster war es ihm unerträglich gewesen, darüber nachzudenken, hier nicht. Bösartigkeit und Wahnsinn erschienen ihm hier nicht als die größten Gefahren für die unsterbliche Seele und den wachen Verstand. Das war vielmehr die alles umfassende Angst zu sterben – und jene konnten bösartige, wahnsinnige Menschen wohl leichter abschütteln.
    »Du weißt wenigstens, wer du bist«, murmelte Mathilda. »Ich hingegen kenne den Namen meiner Eltern nicht. Ich weiß nicht einmal, woher ich stamme. Bis jetzt dachte ich, es wäre bedeutungslos – in Christus werden wir doch neu geboren und legen das alte Leben ab wie ein Kleid. Aber nun …«
    Sei doch froh!, hätte er fast gerufen. Was gäbe ich darum, mein Wissen wieder abwerfen zu können!
    Aber er war sich plötzlich nicht sicher, ob das die Wahrheit war. Lange bevor Gisla ihm die Gründe für diese anvertraut hatte, hatte er eine Zerrissenheit in sich gefühlt, ja, manchmal gar vermeint, dass er zwei Seelen hätte, von denen die eine nicht Gott, sondern einem Dämon gehörte, der sich an Maßlosigkeit, Zerstörung und Chaos erfreute.
    »Wir müssen schlafen«, sagte er schlicht.
    Ohne Mathilda loszulassen, setzte er sich und lehnte sich an einen Baumstamm. Sie versteifte sich, wagte nicht, sich an ihn zu schmiegen, aber rückte auch nicht von ihm ab. Er schloss die Augen. Müdigkeit, Hunger und Entsetzen fielen von ihm ab. In ein Reich schöner Träume konnte er sich nicht flüchten, aber in dem dunklen Loch, in das er fiel, waren alle Geräusche gedämpft und alle Erinnerungen bedeutungslos.
    Als Arvid die Augen wieder aufschlug, war das Licht grau, die Kälte noch beißender, der Hunger noch schmerzhafter – und Mathilda fort.
    Laut rief er ihren Namen, obwohl er ihr am Tag zuvor noch eingeschärft hatte, leise zu sein.
    »Hier bin ich! Hier!«
    Alle Glieder waren steif, als er sich aufrichtete. Er wunderte sich, dass sie die Nacht überlebt hatten, und noch mehr, dass Mathilda gewagt hatte, sich von ihm zu entfernen. Doch dann erkannte er, dass ein Plätschern sie fortgelockt hatte – das Plätschern eines Bachs, den sie zuvor nicht bemerkt hatten. Das Wasser war nicht klar, aber tauglich, den Durst zu löschen. Mathilda hockte darübergebeugt und trank gierig, und rasch tat er es ihr gleich.
    Mathilda trank nicht mehr, sie wusch sich jetzt das Gesicht, dann die Hände, dann schob sie ihr Kleid hoch – das Kleid, das vom Blut ihrer Mitschwestern befleckt war

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