Kinder des Feuers
– und tauchte so viel nackte Haut wie möglich in das Bächlein. Arvid sah ihre zarten Arme und konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal die nackte Haut einer Frau gesehen hatte. Mathilda wusch sich nun die Füße, sodass er auch ihre Unterschenkel sah, dann, als sie das Kleid tiefer zog, um ihren Hals zu reinigen, erhaschte er einen Blick auf den Ansatz ihrer Brüste.
Die junge Frau war so beschäftigt damit, sich zu säubern, dass sie seinen neugierigen Blick gar nicht bemerkte. Er hingegen konnte nicht umhin, sich vorzustellen, was sich noch alles unter dem Kleid verbarg. Ob die Oberschenkel so weiß waren wie die restliche Haut? Ob die Brüste so fest waren, wie ihr Ansatz versprach, der Bauch so weich, wie es bei einer jungen Frau zu erwarten stand? Nie hatte Arvid – von seiner Ziehmutter Runa abgesehen – eine solche berührt und bislang auch nicht die Sehnsucht gekannt, es zu tun.
Auf einmal mischte sich die Sehnsucht mit dem Verlangen, am Kleid der jungen Frau zu zerren, bis es von ihrem Körper glitt, ihre Haut zu befühlen und sich am Weichen, Warmen zu laben, ihren darob erschrockenen Blick zu spüren, weil sie sich trotz all dem Schrecklichen noch ihre Unschuld bewahrt hatte – jene Unschuld, die ihm verloren zu gehen schien, je länger er sie betrachtete und je länger dieses Gelüst in ihm brodelte, hitzig und zerstörerisch. Verlegen wandte er sich ab.
»Heute müssen wir etwas zu essen finden«, sagte er hastig. »Und trockenes Holz.«
»Und dann?«
Arvid zog seine Kutte zurecht. Der Anblick ihrer Haut ließ ihn vergessen, in kleinen Schritten zu denken.
»Ich will nach Jumièges zurückkehren. Ich glaube nicht, dass sich bretonische Krieger so weit ins normannische Gebiet vorwagen, um mich zu verfolgen.«
»Und ich? Was soll aus mir werden?«
Bis jetzt war er erleichtert gewesen, nicht allein zu sein – jetzt erst ging ihm auf, dass es zugleich eine Last bedeutete, für sie verantwortlich zu sein.
»Nicht weit von Jumièges liegt Fécamp. Das ist eine große Stadt am Meer. Vor dem Klostereintritt habe ich dort gelebt. Wenn es uns gelingt, bis dorthin zu kommen …«
Er fuhr nicht fort, und auch Mathilda stellte keine Fragen mehr. Ja, wenn ihnen das gelang, würde sich schon irgendjemand um sie kümmern. Er würde sie irgendwie loswerden. Und danach müsste er nie wieder ein Eichhörnchen töten und daran scheitern, Feuer zu machen. Er müsste nie wieder einer Frau beim Baden zusehen und sich fragen, wie es sich anfühlte, sie zu berühren. Er müsste nie wieder darüber nachdenken, woher das Rohe und Lüsterne in ihm stammte, das ihn in dem Augenblick überkommen hatte, da er seine Mutter Gisla sterben sah und er sie, anstatt für das Heil ihrer Seele zu beten, am liebsten grausam gerächt hätte.
Unwillkürlich streckte Arvid seine Hand nach Mathilda aus, und sie ergriff sie, um sich aufhelfen zu lassen. Eben spürte er nichts Rohes und Lüsternes, nur den Anflug von Zärtlichkeit. Hastig ließ er ihre Hand wieder los, denn jenes befremdende Gefühl bedrohte seinen Seelenfrieden fast noch mehr.
Sie fanden ein paar Beeren und Äpfel. Die Beeren waren halb vertrocknet und die Äpfel faulig, aber beides füllte vorerst ein wenig den leeren Magen. Und sie fanden eine Höhle, kaum hoch genug, aufrecht darin zu stehen, aber ein brauchbares Versteck vor ihren Verfolgern und Schutz vor Wind und Kälte. Holz lag darin, und dieses war trocken genug, dass Arvid ein Feuer machen konnte. Die Flammen züngelten nicht besonders hoch, spuckten Rauch und verkamen bald zu einer roten Glut, die nur wenig Wärme spendete. Aber sie taugte, das tote Eichhörnchen hineinzulegen und das Fleisch zu braten. Es stank nach versengtem Fell, Fett spritzte auf, und es war mühsam, das Fleisch in Stücke zu schneiden, denn sie hatten nichts als einen spitzen Stein. Noch mühseliger war es, die zähen Brocken zu kauen, sie vermeinten, daran zu ersticken, aber der Magen schmerzte danach nicht mehr, und der Schlaf, der über sie kam, kaum dass sie sich an diesem Abend niedergelegt hatten, war tief und traumlos.
Am nächsten Tag fühlte sich Mathilda stark genug, weiterzugehen. Hunger und Kälte blieben eine stete Bedrohung, doch zur größten Qual wurden die Schmerzen in ihren Füßen. Nie war sie auf solchem Untergrund gegangen – voller Wurzeln und Steine, die sich ihr ins Fleisch schnitten und blutende Blasen hinterließen. Der Boden im Kloster bestand aus glattem Stein, und wenn sie nun an diesen
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