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Kinder des Feuers

Kinder des Feuers

Titel: Kinder des Feuers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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knurrte er.
    »Ja, aber …«
    »Dann weißt du auch, dass es hier um nichts Geringeres geht als die Zukunft der Bretagne.«
    Und um meine eigene Zukunft, fügte er im Stillen hinzu.
    Wenn er seine Aufgabe erfüllte, dann musste er nie wieder ein Mann sein, der in einsamen, finsteren Wäldern einem jungen Mädchen hinterherjagte. Dann galt es endlich wieder, heldenhafte Taten zu vollbringen.
    Er erhob sich. Je länger sie durch den Wald ritten, desto steifer wurden seine Glieder. Eine Schicht aus Eis schien seine Haut zu bedecken, machte sie gefühllos und nagte an seiner Hoffnung auf ein Leben in Wärme. Er gab sie trotzdem nicht auf. Wenn sie Mathilda erst gefunden und den Wald verlassen hatten, würde er das Kleid aus Eis ablegen.
    Er starrte auf den feuchten Boden, überlegte kurz und sah sich dann aufmerksam um. Schließlich deutete er in eine Richtung. »Seht doch! An dem Ast dort hängt ein Fetzen Stoff. Sie sind hier entlanggegangen. Wir werden sie bald einholen.«

 
    Das Leben sei ein Fluss, sagten viele, es sei der steten Veränderung unterworfen und schwemme jeden Tag neues Treibwerk an.
    Früher, in ihrer Jugendzeit, hätte Hawisa dem zugestimmt. Heute, da sie älter war, ihr Gesicht runzliger, ihre Glieder steifer und ihr Blick nicht mehr gestochen scharf, empfand sie das Leben vielmehr als einen Tümpel. In seinem morastigen Boden steckten die Menschen fest und mussten darum kämpfen, ihren Kopf über der Oberfläche zu halten. Und bei jedem Wort, das sie riefen, liefen sie Gefahr, das schlickige Wasser zu verschlucken.
    Deshalb schrie sie auch nicht, als Boten die Neuigkeiten von Hasculf überbrachten.
    Mathilda war fürs Erste entkommen.
    Hawisa vermeinte, dass sich in ihrem Innersten etwas schmerzhaft zusammenzog – zu einem schwarzen Klumpen, der alles frische rote Blut aufsog.
    »Wo ist Hasculf?«, rief sie. »Warum wagt er es nicht, mir selbst vor die Augen zu treten?« Ihre Stimme klang so kalt, als wäre jener Lebenstümpel, in dem sie steckte, nicht aus Schlamm und Morast, sondern aus Eis.
    »Er verfolgt sie und versucht, sie einzuholen. Mathilda ist in den Wald geflüchtet.«
    »Dort wird sie allein nicht lange überleben.«
    »Nun, sie ist nicht allein: Sie ist wohl mit diesem Arvid zusammen.«
    Der Name klang fremd, sie wusste erst seit kurzem, dass es ihn gab und wer er war. Je länger sie über diese Neuigkeit nachdachte, desto mehr schwand die Eiseskälte, auch das Gefühl, da wäre nur mehr schwarzer Tod in ihr und die Angst, an dem, was von der Hoffnung übrig geblieben war, zu ersticken.
    Sie entspannte sich.
    »Gut, sehr gut. Dann haben wir beide auf einen Streich.«
    Andere teilten ihre Befriedigung nicht. Dökkur, der Mann ohne Augen, der gemeinsam mit ihr die Nachricht gehört und genauso wütend reagiert hatte, schnaubte nur.
    Der versklavte Mönch wagte sogar, ganz offen zu zweifeln. »Bist du sicher, dass deine Informationen über diesen Arvid stimmen?«
    »Ja, gewiss! Wozu genau er uns nützlich sein wird, weiß ich noch nicht. Aber Hasculf tut gut daran, ihn ebenso wenig entkommen zu lassen wie Mathilda.«
    »Das Kind eines Normannen und einer Christin …«, murmelte Bruder Daniel.
    Er grinste, wie er eigentlich immer grinste. Hawisa konnte nie recht deuten, ob es ein Zeichen von Belustigung oder vielmehr Verbitterung war. In jedem Fall klang er so, als wäre ein derartiges Kind eine Missgeburt und mehr Tier als Mensch, obwohl er doch selbst, so gebückt wie er vor ihr stand, weder Kraft noch Gesundheit noch Menschlichkeit verhieß.
    Hawisa hatte ihn nie danach gefragt, aber sie ahnte, dass ihn einst nicht Frömmigkeit ins Kloster getrieben hatte, sondern ein Vater, der früh begriffen hatte, dass dieser Sohn niemals ein Schwert würde heben und damit töten können.
    Noch gut konnte sie sich an den Tag erinnern, als er in ihre Hände geraten war. Damals waren sie noch stark gewesen, noch nicht vertrieben, noch nicht auf der Flucht. Damals gehörte Dol-de-Bretagne noch ihnen.
    Daniel war nicht nur Mönch gewesen, sondern ein Einsiedler. Er lebte in den einsamen Wäldern nördlich und südlich des großen Flusses, der die Bretagne teilte. Der Boden dort war sumpfig, die Wege ertranken im Morast, das Gras wuchs in den Lichtungen hüfthoch. Weit und breit gab es keine Felder und keine Weinstöcke, keine Burgen, Dörfer und Waldhüter. Dieser Ort sei ein zweites Ägypten, hieß es, wie geschaffen für die Eremiten. Hawisa wusste nicht viel von Ägypten, nur dass es dort eine

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