Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kinder des Feuers

Kinder des Feuers

Titel: Kinder des Feuers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
Vom Netzwerk:
Boden dachte, so vermeinte sie, sie wäre gar nie wirklich aufgetreten, wäre vielmehr stets darüber geschwebt. Ihr Leib schien so viel leichter gewesen zu sein, nicht schwer durch Erschöpfung und Mühsal. Schmerzen hatten Alte und Kranke zu erleiden – sie nicht. Sie war noch jung, sie war nie krank gewesen. Manchmal, während der beschämenden Monatsblutung, hatte sie ein unangenehmes Ziehen gefühlt, aber es so lange missachtet, bis sie vergaß, dass sie einen fruchtbaren Körper hatte. Ein fruchtbarer Körper taugte nichts an einem Ort, wo es um das Heil der unsterblichen Seele ging. Und auch hier, wo jene Seele zu verkümmern schien, schien ihr Körper nicht fruchtbar, nicht voller Leben, nicht voller Kraft. Er wurde zum Feind, der immer wieder aufs Neue drohte, ihren Willen zu bezwingen – den Willen, weiterzugehen, weiterzuleben.
    Einmal bekam Mathilda Krämpfe in den Füßen, und die Schmerzen waren so schlimm, dass sie weinte. Arvid schien verlegen, aber er deutete ihr an, sich zu setzen, nahm dann ihre Füße in seinen Schoß und begann, sie vorsichtig zu kneten. Zu den Schmerzen kam wohlige Süße. Auch dergleichen hatte sie im Kloster nie erlebt, und kurz war es ihr unangenehm. So groß, ihm ihre Füße zu entziehen und auf die Wohltat zu verzichten, war ihre Scheu aber doch nicht. Und dass seine Berührung mehr Labsal versprach als Scham, gab ihr den Mut, das Schweigen zu brechen, das in den beiden Tagen seit ihrer Flucht oft auf ihnen gelastet hatte.
    »Erzähl mir von Jumièges«, bat sie. »Es soll ein großes Kloster sein.«
    »Das ist es gewesen«, sagte er knapp. »Vor vielen Jahren haben die Nordmänner es zerstört. Es ist seitdem noch nicht wieder aufgebaut, doch die Mönche arbeiten daran. Ich selbst habe in meinem Leben schon viele Steine geschleppt.«
    Daher hatte er so kräftige Hände – Hände, die nun, da sie ihre Füße kneteten, so sanft und zärtlich waren. Es gab vieles an ihm, was nicht zusammenpasste – die feinen Züge seines Gesichts, die vermuten ließen, er wäre von Adel, und sein Vermögen, Tiere so roh und nüchtern zu töten wie Jäger und Bauern. Die Trauer, die oft in seinem Blick stand, und die plötzliche Wut, die desgleichen dann und wann aufloderte. Da war so viel Angst, nicht aus diesem Wald herauszukommen – und so viel Trotz, es wider alle Gefahr zu schaffen. Die Erinnerung an Jumièges schien ihn mehr zu quälen, als diesen Trotz zu bestärken, und so lenkte Mathilda rasch davon ab.
    »Erzähl mir von der Normandie«, forderte sie ihn nun auf, »erzähl mir von Graf Wilhelm.«
    Im Kloster hatte es keine Bedeutung gehabt, was sich außerhalb der Mauern zutrug, und hier im Wald lebte sie nicht minder abgeschottet von der Welt – aber so Gott wollte, würden sie den Wald irgendwann verlassen, und dann musste sie sich in der Welt zurechtfinden. Je mehr sie darüber wusste, desto leichter würde es ihr fallen.
    »Nun, Graf Wilhelm ist der Sohn Rollos.«
    Mathilda erschauderte. Sogar im weltfernen Kloster hatte man sich Geschichten über Rollo erzählt – den Piraten, der aus dem Norden kam, das Frankenreich heimsuchte, Tod und Schrecken brachte. Mit Waffen konnte ihn König Karl seinerzeit nicht zurückschlagen, jedoch mit Verhandlungen: An deren Ende stand die Entscheidung, dass Rollo das Land, das er ohnehin besetzt hielt, zum Lehen erhielt – zu dem Preis, dass er Christ wurde und Kirchen fortan aufbaute, nicht länger zerstörte. Rollo hatte einem Land, das in Trümmern lag, Zucht und Ordnung zurückgebracht, das war ohne Zweifel ein Verdienst, aber es hielten sich hartnäckige Gerüchte, wonach er im Grunde seines Herzens ein gottloser Heide geblieben war, der noch am Totenbett Menschenopfer befahl.
    »Anders als Rollo wurde sein Sohn Wilhelm als Christ geboren und erzogen«, fuhr Arvid fort, »und die Saat Jesu Christi fiel bei ihm auf fruchtbaren Boden. Nicht nur gemessen an seinem Vater, selbst an den fränkischen Nachbarn der Normandie ist er sehr fromm und gottesfürchtig. Deshalb hat er auch Feinde – nicht zuletzt Männer aus dem Norden, die in seinem starken Glauben ein Zeichen von Schwäche sehen und deren Aufstände er gewaltsam niederschlagen musste, um seine Herrschaft zu sichern.«
    Er verstummte, und Mathilda fragte nicht nach. Sie wollte nichts von Schlachten hören, wo die einen töteten und die anderen starben.
    »Wie groß ist die Normandie?«, fragte sie stattdessen.
    Bis jetzt kannte sie von dem Land, in dem sie lebte, nicht mehr als

Weitere Kostenlose Bücher