Kinder des Feuers
aus dem Gürtel zog. Von ihm stammte das Blut, der andere war plötzlich geflohen oder hatte noch reichere Beute entdeckt. Sie konnte noch immer kaum glauben, wie viel Kraft sie hatte. Wahrscheinlich hätte sie sie nicht aufgebracht, wenn sie nur sich selbst hätte schützen müssen – aber da war das Kind … und der stärkste Ausdruck der Liebe zu diesem Kind war der Wille zu töten, wer immer es bedrohte.
Sie war davongelaufen und der Verwundete ihr nicht gefolgt.
Mathilda blickte sich um, und auch wenn niemand zu sehen war, fühlte sie die Gefahr, die in der Luft lag.
»Wir müssen fort von hier!«, rief er.
Sie zögerte. Von hier zu fliehen, hieß, an den vielen Toten vorbeizugehen und – was noch schlimmer war – an den Lebenden, die sich ihres Lebens vergewissern wollten, indem sie raubten, tranken und sich an schutzlosen Frauen vergriffen.
»Sollten wir uns nicht besser verstecken?«
Arvid folgte ihrem Blick und zog sie rasch in den Schatten einer Eiche.
»Ich könnte versuchen, zu Bernhard zu gelangen«, murmelte er, »doch dafür müsste ich dich kurz allein lassen.«
Mathilda war wochenlang allein gewesen, und die Aussicht, ihn schon wieder gehen lassen zu müssen, erschien ihr fast unerträglich, dennoch nickte sie. Als ob der Baumstamm sie beschützen könnte, klammerte sie sich an ihn.
»Tu, was du tun musst«, überwand sie sich zu sagen.
Ehe Arvid sie ein letztes Mal umarmen konnte, ertönte Pferdegetrappel. Zwei Reiter kamen direkt auf die Eiche zu. Den einen verrieten Rüstung und Waffen als Normannen, der andere trug kein Schwert, aber edle Kleidung. Mathilda spürte, wie Arvid sich anspannte, sie an sich drückte, als wollte er sie nie wieder loslassen, sich dann aber eines Besseren besann.
»Ich kann dich mehr schützen, wenn ich die beiden ablenke und ihnen allein entgegentrete«, flüsterte er und trat aus ihrem Versteck.
Mathilda hörte, wie Arvid Fragen nach der Schlacht stellte und wie die beiden Männer etwas antworteten, was ihr nicht weiter bedenklich erschien.
Doch plötzlich ertönte ein überraschter Ausruf aus Arvids Mund. Sie lugte hinter dem Baum hervor und sah, dass er leichenblass war. In dem Augenblick gaben die beiden ihren Pferden die Sporen und stoben an ihm vorbei.
»Großer Gott!«, rief Arvid.
Mathilda lief zu ihm. »Was hast du?«, fragte sie. »Was ist passiert?«
Arvid blickte sich hilflos um.
»Ich muss sie aufhalten!«, sagte er. »Ich muss die beiden unbedingt aufhalten.«
Als er von ihr fortritt, überkam ihn das schlechte Gewissen – eben erst hatte er sie gefunden, wie konnte er so herzlos sein, Mathilda wieder zurückzulassen und leichtsinnig darauf zu vertrauen, dass sie im Schatten des Baumes in Sicherheit war! Doch noch weniger brachte er es über sich, das Pferd anzuhalten und zu ihr zurückzureiten. Er fixierte sein Ziel, und die Kälte und Starre, die ihn gefangen gehalten hatten, als er die Schlacht beobachtete, fielen jäh von ihm ab. Die Schlacht war zwar vorbei, aber er war mittendrin in einem Krieg – und dieser Krieg war sein eigener.
Sein Ross, gestärkt von der Rast, war schneller als die Pferde der beiden anderen, und er hatte sie bald erreicht.
»Halt!«, schrie er immer wieder. »Halt!«
Nur unwillig zogen die Reiter an den Zügeln. Misstrauische Blicke waren es, die ihn zunächst trafen, dann erleichterte. Arvid verfluchte sich selbst, als er erkannte, was diese Erleichterung herbeiführte – er trug kein Schwert, und das bedeutete: Er war keine Gefahr. Nicht nur, dass er in seiner Erregung Mathilda im Stich gelassen hatte – obendrein hatte er sich als kopf- und planlos erwiesen.
»Halt!«, schrie er dennoch erneut, denn er wollte sich die Unsicherheit nicht anmerken lassen.
Der eine Mann war ein ihm fremder normannischer Krieger, der andere war der fränkische König Ludwig. Seine Krieger waren der Übermacht unterlegen, ihm selbst aber war irgendwie die Flucht gelungen.
»Was geht hier vor?«, rief Arvid forsch.
Ihm war nicht entgangen, dass der normannische Krieger verlegen wirkte. Er war noch jung und schien obendrein so hitzköpfig, wie es auch Arvid manchmal war.
»König Ludwig wurde in der Schlacht gefangen genommen«, bekannte er kleinlaut. »Man hat vier Krieger abgestellt, ihn zu bewachen, doch als alle anderen darangingen, Beute zu nehmen, gab es für sie kein Halten mehr.«
Was der junge Mann nicht zugab war, dass auch er sich als schwach und verführbar erwiesen hatte, wenngleich in seinem Fall
Weitere Kostenlose Bücher