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Kinder des Feuers

Kinder des Feuers

Titel: Kinder des Feuers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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das hätte den Jungen wohl nicht getröstet.
    »Und dann? Was ist dann geschehen?«
    »Ein Mann ist auf den dänischen Krieger losgegangen, Lambert, Herluins Bruder. Ob er Herluins Tod rächen konnte, weiß ich nicht. Nur, dass die Schlacht losbrach.«
    Der Knabe verstummte. Für das, was gefolgt war, gab es keine Worte. Außerdem übertönte der Lärm jedes Wort. Arvid ahnte, dass sie hier im Zelt nicht länger in Sicherheit wären, dass man es im Eifer des Gefechts vielmehr umreißen würde.
    »Rette dich!«, schrie er den Knaben an. Der riss seine Augen auf, machte dann aber prompt kehrt und floh hinaus.
    Arvid folgte ihm um vieles langsamer und vorsichtiger nach draußen. Seine größte Angst war, von einem Schwert getroffen zu werden, doch als er den Kopf ins Freie steckte, wurde der fast von Hufen getroffen.
    Ein Pferd stieg wiehernd vor ihm hoch und warf seinen getroffenen Reiter aus dem Sattel. Drei Pfeile steckten in seiner Brust, er fiel reglos auf den Boden.
    Arvid duckte sich und wartete, bis das Pferd sich beruhigte. Es spuckte Schaum, seine Augen waren blutrot, aber irgendwann war es zu kraftlos, um noch einmal in die Luft zu steigen. Er packte die Zügel und streichelte ihm beschwichtigend über die Mähne. Jene Pferde, Destriers genannt, waren allein für den Zweck zu kämpfen aufgezogene und ausgebildete Schlachtrosse und sollten daran gewöhnt sein, Blut und Tod zu riechen. Aber vielleicht erging es dem Tier wie dem Knappen – es war noch jung, es wusste noch nicht, dass das, was später in Heldenliedern besungen wird, in Wahrheit nichts anderes verheißt als Schmutz und Gestank und Angst und Verderben.
    »Ruhig«, murmelte er, »ruhig …«
    Arvid beschwichtigte das Tier und zugleich sich selbst. Langsam fasste es Vertrauen, ließ ihn auf seinen Rücken steigen und wählte dann selbst die Richtung – weit fort vom Schlachtgetümmel. Unbehelligt lief es einen Hügel hoch und erreichte die Waldgrenze. Im Schatten der ersten Bäume hielt Arvid das Pferd an, wendete es und blickte von oben auf den Kampf. In dessen Mitte hatte er sich von Chaos umgeben gewähnt, nun, da er das ganze Schlachtfeld im Blick hatte, glaubte er, eine Ordnung zu erkennen. Zumindest die normannischen Krieger schienen nicht nur purer Mordlust, sondern einer Taktik zu folgen. Sie gingen in einer Formation, die Odin sich selbst zuschrieb, auf den Gegner los: Zwei Krieger standen in der ersten Reihe, drei in der zweiten, vier in der dritten, und solcherart keilten sie sich in die feindlichen Truppen, stets darauf bedacht, den Kampfgefährten genügend Platz zu lassen, das Schwert zu schwingen.
    Die Dänen, erkannte Arvid, kämpften ähnlich, und auch ihre Rüstungen glichen denen der Normannen. Einzig an ihren Pferden waren sie zu unterscheiden: Waren die der Normannen mit Eisenbeschlägen, Brust- und Unterbauchriemen geschützt und mit Sattel und Steigbügel ausgerüstet, führten die Dänen die ihren nur mit Kandare und Sporen in den Kampf. Ob sie gleiche oder andersartige Waffen benutzten, konnte Arvid aus der Entfernung nicht sehen – der Tod, den sie brachten, ob mit langem Schwert, kurzem Messer oder Beil, war gleich endgültig. Das Eisen glitzerte in der Sonne und man hätte vermuten können, dass das, was in Wahrheit ein Blutbad verhieß, ein silbriges Meer war.
    Arvid verlor jedes Zeitgefühl. Der erste Blutrausch schien nachzulassen, die Krieger schlugen sich nicht länger schnell und wütend, sondern wählten ihre Hiebe sorgfältig, aber ans Aufgeben dachte niemand. Er wusste von der Zeit, die er in Wilhelms Gefolge verbracht hatte, dass Krieger ihren Schwertern Namen gaben – Wundenflamme, Blutschwelger, Lebenshasser und Fußbeißer –, und vielleicht war das der Grund, warum die Waffen, lebendigen Wesen gleich, ihr Recht, den Feind zu hassen und zu töten, einforderten, auch wenn der, der sie führte, längst erschöpft und müde war.
    Einmal glaubte er, in der Menge Harald Blauzahn zu erkennen, der sich – gleich Bernhard und Ludwig – an dem Kampf beteiligte, doch alsbald verschwand dessen Kopf wieder im Einerlei von Leibern und Gliedern, einem riesigen Ungeheuer gleich, das immer mehr verschlang und nicht länger aus Menschen mit Gesichtern und Geschichten zu bestehen schien.
    Während er dem Wüten zusah, wuchs in seiner Seele Unruhe. Warum beschied ihm die Vorsehung die Rolle des Zuschauers? Weil sein Ziehvater Taurin ihn zum Mönch erzogen hatte, nicht zum Krieger? Aber da er nun kein Mönch geworden war,

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