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Kinder des Feuers

Kinder des Feuers

Titel: Kinder des Feuers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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entgegen, um ihn zu begrüßen und ins königliche Zelt zu geleiten.
    Arvid machte sich auf den Rückweg zum normannischen Lager, ohne große Eile erkennen zu lassen. Noch blieb Zeit genug, noch deutete nichts auf eine baldige Schlacht hin. Im Gegenteil: Trotz morgendlicher Geschäftigkeit verhieß der Anblick der Sonne, die am immer blaueren Himmel gemächlich höher stieg, so viel Frieden, desgleichen das türkisblau glitzernde Wasser der Dives, die Vögel, die über ihre Köpfe hinwegflatterten, die summenden Mücken.
    Anstatt sogleich aufzubrechen, trat Arvid in Bernhards Zelt und stärkte sich dort mit einem Brei. Durch einen Spalt fielen warme Sonnenstrahlen hinein und hielten den Trug aufrecht, dass das große Töten unmöglich beginnen konnte, solange der Tag so freundlich anmutete.
    Doch plötzlich ertönten Schreie und Klirren, Wiehern und Hufgetrampel, Ächzen und Geheule, Flüche und Kampfbefehle. Arvid ließ den Löffel fallen. Wie aus dem Nichts war der Sturm losgebrochen. Ehe er erfasste, warum die Krieger so viel früher als geplant ihre Waffen erhoben hatten, begann sich das eben noch türkisblau funkelnde Wasser blutrot zu färben.
    Arvid war mittendrin und zugleich ein Unbeteiligter, er konnte alles sehen, blieb im Zelt aber unsichtbar. Die Kampfgeräusche gingen ihm durch Mark und Bein, doch sein Blut blieb kalt, solange er kein fremdes vergoss und sein eigenes nicht spritzte. Er fühlte den Pulsschlag des Krieges, aber sein Herz schien stillzustehen. Irgendwann würde es weiterschlagen, irgendwann würde das, was er sah und erlebte, wieder mit ihm zu tun haben, irgendwann würde die Welt wieder ein schöner Ort sein. Jetzt war sie es nicht.
    Keulen und Schwerter prallten aufeinander, Helme wurden gespalten, Schilde zersplitterten, Pfeile zischten, Wurfgeschosse wurden durch die Luft geschleudert.
    Manche Männer starben laut brüllend, andere mit einem Stöhnen, manche hielten sich, auch wenn sie getroffen waren, noch aufrecht und kämpften trotzig um ihr Leben, andere fielen wie gefällte Bäume um. Die übervorteilten Franken waren erst im Nachteil – weder hatten sie mit der Schlacht gerechnet noch mit der Übermacht, der sie plötzlich gegenüberstanden. Aber als die Einsicht reifte, was geschehen war, erwachte Wut, und die Wut gab ihnen Kraft.
    Lange blieb Arvid allein im Zelt, dann kam plötzlich einer der Knappen, der die Pferde betreute, hineingestürzt. Wahrscheinlich war er am Morgen noch stolz gewesen, hier zu sein, und hatte laut getönt, dass auch er kämpfen wolle, nun war er kalkweiß, seine Hose nass, und er duckte sich so tief, als wollte er sich am liebsten im Boden vergraben.
    Als ob das etwas nützt, dachte Arvid – dieser Boden wird doch bald blutgetränkt sein. Als er sich zu ihm beugte, zuckte der Knabe zusammen.
    »Ich habe es gesehen!«, stieß er voller Panik aus.
    »Was gesehen?«
    »Wie er ihn köpfte!«
    Arvid war sich gewiss, dass an diesem Morgen bereits viele ihren Kopf verloren hatten, aber als der Junge stammelnd fortfuhr, erkannte er, dass er den eigentlichen Anfang der Schlacht bezeugt hatte und warum es zu dieser früher gekommen war, als Bernhard der Däne es geplant hatte.
    »Was ist passiert?«, fragte er.
    Trotz seines Stammelns konnte sich der Knappe verständlich machen. Er hatte vor jenem Zelt gewartet, in dem Ludwig, Bernhard und Harald verhandelten. Und vor diesem Zelt war plötzlich Herluin von Montreuil erschienen.
    »Der Verräter …«, murmelte er.
    Wer ist am heutigen Tag kein Verräter?, dachte Arvid.
    In der Tat hatte Herluin ein gemeines Spiel getrieben. Nur weil jener ihn verzweifelt darum gebeten hatte – Arvid selbst hatte damals seinen Kniefall bezeugt –, war Wilhelm in den Krieg mit Arnulf gegangen und hatte am Ende den Tod gefunden. Doch anstatt sich hinterher für Wilhelms Sohn Richard einzusetzen, gebärdete sich Herluin fortan als treuer Untertan König Ludwigs. An dessen Seite war er gekommen und fühlte sich von ihm geschützt. Das war der letzte Irrtum seines Lebens gewesen. Er wurde von einem normannischen Krieger erkannt, der laut seinen Namen rief, und ehe Ludwig das Zelt verlassen und ihn davor bewahren konnte, hatte einer der Dänen Herluin schon geköpft.
    »Das Blut spritzte nach allen Seiten!«, klagte der Knabe.
    Er rieb sich das Gesicht und seine Kleidung, als wäre auch er davon befleckt worden. Arvid hätte ihm gern gesagt, dass das, was sich feucht anfühlte, kein fremdes Blut, sondern sein eigener Urin war, aber

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