Kinder des Feuers
war es nicht feige, auch kein Krieger zu sein? Oder einfach nur klug, wie nicht jeder Krieger, aber jeder Krieg dumm ist?
Und was würde sein leiblicher Vater Thure denken, wenn er ihn so sähe? Würde er ihn verspotten oder tadeln oder ihn gar nicht beachten, weil er sich längst selbst in das Getümmel gestürzt hätte?
Ein Teil von ihm wollte das auch – nicht unbedingt töten, aber irgendetwas tun, und das Einzige, was sich an diesem Tag an der Dives tun ließ, war nun mal zu töten. Erst als die Sonne den Zenit überschritt, gab es eine zweite Möglichkeit: nicht länger zu kämpfen, sondern zu fliehen. Die meisten fränkischen Krieger taten dies.
So groß ihre Wut über den Verrat an ihrem König war – zum Sieg hatte sie ihnen nicht verholfen, und die Nüchternen sahen ein, dass sie unterlegen waren und ohne Hoffnung, das Blatt zu wenden. Sie ritten oder liefen fort, stolperten über Tote und über Waffen, das Ungeheuer aus kämpfenden Leibern schrumpfte, seine Bewegungen gerieten immer langsamer.
Einige Männer stoben an Arvid vorbei, aber waren blind für ihn. Und plötzlich … plötzlich wurde auch er blind für sie.
An einem Ort, an dem der Einzelne nicht zählt – nicht seine Vergangenheit, nicht seine Zukunft – rief jemand seinen Namen. Jemand, den er hier niemals erwartet hätte. Jemand, der ein Wunder vollbrachte, aus dem Ort des Todes einen Ort der Liebe zu machen. Noch konnte er nicht an Wunder glauben, noch nicht an die Liebe.
Langsam drehte er den Kopf in die Richtung, aus dem die Stimme kam. Es war eine hohe weibliche Stimme und immer wieder rief sie: »Arvid! Arvid!«
Dann sah er sie, die Frau, für die er gern zum Feigling geworden war, der diese Schlacht nur beobachtete, nicht mitbestimmte. Sah sie und glaubte.
Mathilda kam auf ihn zu. Wie er hatte sie sich in den Schatten der Bäume versteckt, bis die Schlacht vorbei war. Doch obwohl vom Töten eigentlich ausreichend entfernt, war sie blutüberströmt.
Sie starrte ihn an, und ehe sie fassen konnte, dass die Vorsehung sie tatsächlich wieder zusammengeführt hatte, verschwamm das Bild vor ihren Augen. Etwas Warmes tropfte in ihr Gesicht, sie wusste nicht, ob es Schweiß oder Blut war. Es musste Blut sein, so entsetzt wie Arvid aufschrie und ihren Namen stammelte. Eben hatte er sie erreicht, und sie wollte ihm in die Arme fallen, ihn festhalten, sich kurz dem Trug hingeben, in Sicherheit zu sein, doch er packte sie an den Schultern und schrie: »Was ist passiert?«
Sie blinzelte, das Bild klärte sich wieder, sein Gesicht blieb entsetzt. Er suchte nach der Wunde, aus der das viele Blut kam, das über ihr Gesicht, ihren Körper, ihre Hände troff, und riss Fetzen von seiner Kleidung, um diese zu stillen.
Da lachte Mathilda auf – ein schriller Ton, in dem sich alles entlud: die Anspannung der letzten Monate, die Erleichterung, ihn endlich wiederzusehen. »Es ist nicht mein Blut!«, schrie sie ein ums andere Mal. »Es ist doch nicht mein Blut!«
Erst jetzt ließ er es zu, dass sie ihn umarmte. Sie presste ihren Kopf an seine Brust und konnte kaum atmen, aber das machte nichts. Gern wollte sie an ihm ersticken. Gern sterben mit dem Wissen, dass sie endlich vereint waren. Aber er schob sie wieder von sich und musterte sie. Er musste gespürt haben, dass ihr Leib gewölbt war.
»Mathilda …«
»Ja«, sagte sie schlicht, »ja, ich bekomme ein Kind.« Sie konnte nicht mehr sagen, und kurz bedauerte sie es, die frohe Nachricht ausgerechnet hier, inmitten eines Schlachtfelds, zu überbringen. Bezeichnend schien ihr das für ihr Leben, in dem sie so oft an der Grenze zum Tod gewandelt war. Und noch mehr tat es ihr leid, dass keine Zeit blieb, sich gemeinsam darüber zu freuen. Kurz leuchtete etwas in seinem Blick auf, dann wurde er wieder besorgt.
»Warum bist du voller Blut?«, fragte er.
Stockend berichtete sie, was passiert war. Dass sie durch Zufall in die Nähe des Heerlagers geraten war, sich zunächst im Wald versteckt und von dort beobachtet hatte, wie die Schlacht tobte, und schließlich – verfrüht – ins Freie getreten war, um inmitten der Krieger nach einem vertrauten Gesicht zu suchen. Zwei Männer hatten sie entdeckt – im Siegesrausch und voller Gier, sich neben den Habseligkeiten der Gefallenen nun auch noch diese junge Frau zu nehmen, die da zwischen den Toten umherstolperte. Womit sie nicht gerechnet hatten, war, dass sie sich erbittert wehrte. Zunächst vergebens, dann mit einem Dolch, den sie einem von ihnen
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