Kinder des Feuers
delektierte, diesen nicht aus gewöhnlichen Füllhörnern trank, sondern aus glänzenden, kostbaren Kelchen, nicht vom Grölen wilder Männer begleitet, sondern von Gesang und Spiel und Tanz.
Genau betrachtet wurde nicht nur ein Fest gefeiert, sondern derer mehrere. Schon am Tag, als Wilhelm Werghaupt in der Stadt eintraf, fand das erste Bankett statt. Mathilda stand an Gerlocs Seite auf einem der Türme der mächtigen Mauer, als diese der Gesandtschaft von Poitiers entgegenblickte. Die Zugbrücke wurde erst geöffnet, als die Reiter die Stadt fast erreicht hatten, und Werghaupt hob die Hand zum Gruß, als er darüber hinwegritt. Die Menschen von Rouen hatten sich auf den Straßen versammelt und jubelten dem Grafen von Poitou zu. Mathilda war nicht sicher, woher die Begeisterung rührte – weil Graf Wilhelm sie befohlen hatte, weil das Volk sich über eine seltene Abwechslung freute oder weil viele Bewohner der Stadt nicht von Nordmännern abstammten, sondern von deren einstigen Opfern und es deshalb als Triumph erlebten, einen christlichen Grafen zu empfangen.
Gerloc stürmte nach unten, um ihren künftigen Gatten zu begrüßen. Sie war in den letzten Tagen noch dünner geworden, die kostbaren Kleider schlackerten ihr am Leib, und ihr Blick war gehetzter denn je. Anstatt ihr zu folgen und das Treffen der baldigen Eheleute zu bezeugen, blieb Mathilda noch eine Weile auf dem Turm stehen und blickte aufs flache, von Waldinseln durchsetzte Land, den rauschenden Fluss, der die Stadt teilte, und die kleinen Vorstädte, wo manche Kaufmänner ihre Kontore eingerichtet hatten und Handwerker ihre Stuben. Am Hafen ankerten Schiffe – mächtige Kriegsschiffe ebenso wie einfache Knörrs, die Handelsgüter transportierten. Obwohl nicht auf See, hatten ihre Besitzer die Segel gehisst, um den Eindruck zu verstärken, dass die Stadt bunt und reich war – ähnlich wie es die farbenprächtigen Gewänder der Gaukler und Musikanten taten, die man für diese Tage bestellt hatte. Die Lumpen der Bettler blieben schmutzig und zerrissen, aber sie alle wurden auf Kosten des Grafen in Gasthöfen bewirtet, wo den ganzen Tag Grützekessel brodelten, fette Braten über dem Feuer zischten und anstelle üblicher Dorschköpfe fetter Hering auf die Teller kam.
Mathilda hatte die Stadt eine Woche zuvor zum ersten Mal betreten und wusste nicht viel mehr über sie, als dass sie die Hauptstadt der Normandie war, ein lebhaftes Handelszentrum und überdies Hort vieler Klöster, deren Mönche sich auch an einem Tag wie heute in die bunten Menschenscharen mischten. Nicht alle Kleriker stammten aus Rouen – manche lebten hier lediglich im Exil, nachdem die Heiden aus dem Norden einst ihre Kirchen und Klöster zerstört hatten. Doch da es sich in einer lauten, reichen Stadt besser leben ließ als fernab der Menschen in Küstennähe oder in einsamen Wäldern, waren viele selbst dann noch geblieben, als die Nordmänner nicht länger als Geißel Gottes, sondern als vom Allmächtigen selbst gesegnete Herrscher galten.
Auch im Gefolge von Wilhelm Werghaupt reisten einige Mönche, unter ihnen jene, die von Rouen aus weiter nach Jumièges ziehen und an dessen Wiederaufbau mitwirken sollten. Ob es Arvid womöglich erlaubt war, mit ihnen zu gehen? Ob er sich das wünschte? Und noch wichtiger – ob sie sich das wünschte?
Mathildas Körper hatte die Folgen des Giftanschlags rasch überwunden, doch es war ihr nicht gelungen, unangenehme Gedanken zum Schweigen zu bringen – weder die, die um Arvid und ihren gesichtslosen Verfolger kreisten, noch jene, die an ihrer Entschlossenheit, im Kloster zu leben, rüttelten. Anstelle des Haders, ihrer Berufung nicht folgen zu können, trat ein Unbehagen, ihre Berufung nicht länger zu kennen, die Frage auch, wie sie sich je frei entschließen können sollte, die Gelübde abzulegen, wenn sie zunächst doch gezwungenermaßen im Kloster gewesen war, und wie sie sich ganz und gar Gott schenken sollte, wenn man ihr einen Teil ihres Wesens doch ausgetrieben hatte.
Rasch stieg Mathilda nun doch nach unten, um jenen Gedanken zu entgehen, kam an Kriegern mit ihren knielangen Kettenhemden und bronzenen Helmen vorbei, die trotz aller Feierlaune jederzeit zu kämpfen bereit waren, und betrat den großen Saal, wo Speis und Trank aufgetragen wurden. An diesem Tag wurde noch nicht das edelste Fleisch kredenzt und nicht der teuerste Wein, und noch trug Gerloc nicht ihr schönstes Kleid und ihren besten Schmuck. All das wurde für den
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