Kinder des Feuers
Ihre Wangen röteten sich langsam. Ihre Augen waren nur spaltweit geöffnet, aber dahinter wähnte er das warme Braun zu sehen, nicht länger nur Weiß.
»Mathilda … Mathilda, hörst du mich?«
Sie wohl nicht – aber andere. Gelächter traf ihn, und als er den Kopf hob, sah er, dass es vom Lagerfeuer im Hof kam. Die Krieger, die dort hockten, musterten den Mönch, der eine zarte junge Frau an sich presste, unverhohlen.
»Ist das die Art von euch Nordmännerpriestern, Gott zu ehren?«, fragte einer spöttisch.
Wut und Hilflosigkeit, die das Ringen mit dem Tod erweckt hatte, wuchsen. Kurz war er bereit, Mathilda fallen zu lassen, auf die Männer loszugehen, ihre Kehle zu packen und zu drücken, ihnen sein Knie in den Leib zu rammen, sie zu beißen, zu kratzen – nicht nur, um der Wut Herr zu werden, auch aus Erleichterung, weil sie keine unsichtbaren Gegner wie das Gift waren, sondern solche, die man zu fassen und halten bekam.
Doch da wandten sich die Männer schon lachend ab, und Arvid nutzte seine Kräfte, um sich weiter um Mathilda zu kümmern – so lange, bis ihr Herz wieder regelmäßig und laut gegen ihre Brust schlug, in die schlaffen Glieder Leben zurückkehrte und sie die Augen öffnete.
Mathilda zitterte vor Kälte. Ihr Atem glich einem eisigen Hauch, und kurz fühlte sie nichts, nicht mal Verwirrung, Arvid zu sehen. Die Kälte wich, als Arvid sie zurück ins Haus brachte, und mit ihr ging das vage Gefühl, dass es angenehm war, von Arvid gehalten zu werden. Sie löste sich von ihm und sank schnell auf einen Stuhl, weil sie nicht aufrecht stehen konnte. Ihr Mund fühlte sich trocken an, in ihrer Kehle schmeckte es bitter. Krächzend gerieten ihre ersten Worte: »Was ist passiert?«
»Jemand … jemand wollte dich vergiften.«
»Das weiß ich selbst«, fuhr sie ihn an, obwohl ihre Erinnerungen nur langsam zurückkehrten, so langsam wie die Kraft in ihre Glieder. Ihre Hände waren so steif, ihre Fingerkuppen wie abgestorben. Würde sie jemals wieder etwas anderes fühlen als diesen dumpfen Schmerz und das unangenehme Kribbeln?
Arvid war ein wenig zurückgetreten, aber blickte besorgt auf sie hinab. »Ich habe dich gerettet«, erklärte er leise. »Ich habe dafür gesorgt, dass du dich übergibst.«
Ob sie nun gefühllos waren oder nicht – sie tastete mit den Fingerkuppen über ihr Kleid. Es war feucht und voller Flecken.
»Warum?«, stöhnte sie – und ob der Schmach, dass sie vor seinen Augen gewürgt, gespuckt und ihr Kleid beschmutzt hatte, erschien ihr sein Handeln nicht als Akt der Gnade, sondern als Bösartigkeit.
»Mathilda …«, nun wagte er es doch, sich über sie zu beugen.
»Warum bist du überhaupt hier?«, zischte sie.
»Ich lebe seit einigen Jahren im Gefolge von Graf Wilhelm.«
»Das weiß ich selbst. Aber warum hast du dich all die Zeit vor mir versteckt … um mich dann doch zu retten?«
Ihre Wut war so viel eisiger als die Kälte in den Gliedern. Und sie auf ihn zu richten war so viel leichter, als auf den gesichtslosen Mörder, der ihr das angetan hatte. War er noch in der Nähe? Würde er nach seinem Scheitern erneut versuchen, nach ihrem Leben zu trachten – nunmehr ein drittes Mal? Ja, spätestens jetzt war es Gewissheit: Nicht zufällig war der Wetzstein am Tuchmarkt von Bayeux auf sie gefallen. Nicht zufällig hatte diese Stimme sie in einen Raum gelockt, wo das Gift schon auf sie gewartet hatte. Sie erbebte, aber unterdrückte es rasch, als Arvid ihr tröstend über die Schultern strich.
»Ich dachte, es wäre besser, wenn wir uns voneinander fernhielten – besser für uns beide …«, stammelte er. »Da wir uns doch nichts anderes wünschen, als unser Leben im Kloster zu verbringen.«
Sie starrte an ihm vorbei. »Warum bist du dann nicht in Jumièges?«
»Weil der Abt sich anderes wünschte.«
»Und weil es leicht ist, andere für uns entscheiden zu lassen, nicht wahr?«
Mathilda wusste nicht, was sie bewog, dergleichen zu sagen und dabei so bitter zu klingen. Gehorsam zu üben war die Pflicht jedes Mönchs und jeder Nonne. Sie war damit aufgewachsen, sie hätte liebend gern selbst wieder einer Äbtissin gehorcht, nicht ständig nur Gerloc oder Sprota. Und doch, so kalt wie da alles in ihr war, würde er nichts sagen können, was nicht Ärger oder Spott in ihr hervorrief.
Das schien auch ihm aufzugehen, denn er trat zurück und senkte den Kopf. »Du solltest mit dem Grafen reden«, erklärte er nüchtern. »Du solltest ihm erzählen, dass dir jemand
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