Kinder des Feuers
Obwohl ansonsten die Beherrschtesten, Tollkühnsten und Kräftigsten, genossen sie die Narrenfreiheit, die ihnen selbst der strenge, nüchterne Bernhard der Däne an einem Tag wie diesem gönnte. Gottlob entging Mathilda allen Handgreiflichkeiten, indem sie sich wendig duckte.
Jetzt nahm sie an der großen Hochzeitstafel Platz, wo es gemäßigter zuging. Der Boden war mit frischem Stroh bedeckt, Tische bogen sich unter Platten voller köstlicher Fleisch- und Fischgerichte, Bier und Wein wurden aus offenen Fässern ausgeschenkt. Eben unterhielt ein Jongleur die Feiernden, indem er erst mit rohen Eiern, dann mit Messern, schließlich mit brennenden Fackeln jonglierte, während er auf einer Knochenflöte spielte. Mathilda, die sich sonst stets in Zurückhaltung übte, klatschte unwillkürlich, und am Ende der Tafel blieb das nicht unbemerkt.
»Trink, Mathilda, trink auf mein Glück!«, rief Gerloc ihr begeistert zu.
Mathilda sah die junge Braut erstmals nach der Hochzeit wieder. Aus der Entfernung ließ sich nicht sagen, ob ihre Augen leuchteten oder glanzlos und leer blickten – schön anzusehen war sie in jedem Fall. Nach dem Bad am frühen Morgen hatte sie ihr Haupt mit einem Blumenkranz geschmückt. Darunter trug sie einen Leinenschleier, der sie vor dem bösen Blick bewahren sollte. Das Haar, das sie meist offen trug, war zu einem Knoten geschlungen und im Nacken mit einer bronzenen Nadel festgesteckt worden. An deren Spitze prangte ein funkelnder Edelstein in gleichem Rot wie das Kleid, das sie trug.
»Ja, trink«, rief auch der kleine Richard Mathilda mit roten Backen zu. Jenes Fest war das größte, das er wohl erlebt hatte.
Bei seinem Anblick musste Mathilda an Sprota denken – und einmal mehr dachte sie, wie verrückt es war, dass sich Wilhelm zwar zu seinem Sohn bekannte, nicht aber zu der Frau, die ihn geboren hatte, dass er die Einzige, für die er sein Streben nach Keuschheit aufgab, nicht heiratete, weil er für eine Gattin aus mächtigerem, reicherem Haus frei bleiben wollte, dass er aber, so sich denn eine Heiratskandidatin wie jene Lieutgarde fand, so lange zögerte, bis diese einen anderen nahm.
»Trink, Mathilda!«, ertönte es erneut.
Diesmal erkannte sie nicht, wer es gerufen hatte, aber sie hob den Krug und trank von dem eigens für die Hochzeit gebrauten Bier, um jenes Fest zu ertragen, das ihr nicht nur prächtig erschien, sondern vor allem laut, laut genug, die vielen Lügen zu übertönen, mit denen sich fast ein jeder hier die Welt schöner redete, und auch um zu vergessen, dass vielleicht Arvid in der Nähe war.
Mathilda trank ohne Sorge, weil jeder auf dem Fest trank und kein Krug nur für sie allein bestimmt und darum vergiftet sein konnte. Heiß stieg es in ihr Gesicht, bald war sie trunkener noch als in Lyons-la-Forêt, sah Gesichter nicht nur doppelt, sondern mehrfach, und erkannte dennoch jenes, das sich plötzlich dicht an ihres schob, nicht. Doch als sie einen Trinkspruch auf Gerloc vernahm, erkannte Mathilda an der Stimme, dass es der junge Krieger namens Johan war. Er war es auch gewesen, der ihr als Dritter zugerufen hatte, sie solle trinken. Jetzt forderte er noch mehr.
»Tanz mit mir, tanz!«
Nüchtern wäre sie empört über jenes Ansinnen gewesen, das eine Vertraulichkeit verhieß, die sie einem Mann wie ihm nie gestattet hätte. Trunken fragte sie sich nur, wie sie, die wohl nicht einmal gerade gehen konnte, tanzen sollte. Ehe sie ablehnen konnte, hatte Johan sie jedoch schon an die Hand genommen und hochgezogen.
Mathilda fiel nicht über die eigenen Füße, weil er sie hielt, und dass sie nicht gerade gehen konnte, störte nicht, weil man sich beim Tanzen im Kreis zu drehen hatte, und das tat sie mit einer Ausgelassenheit, die ihr so fremd war wie der herbe Geschmack von Bier auf den Lippen.
Hinterher wusste sie nicht, wie lange sie getanzt hatte, wie lange sie sich rechtzeitig vor anderen Ellbogen geduckt hatte und wie lange die Ahnung unterdrückt, dass sie tief gesunken sein musste, wenn sie sich mit einem Krieger im Kreise drehte. Was sie nicht unterdrücken konnte, war die Traurigkeit, die sie trotz der unbeschwerten Bewegungen überkam, einem Schatten gleich, der an ihr haftete und ihrem Trachten spottete, sich zu amüsieren.
Und plötzlich war da ein weiterer Schatten, nicht nur gefühlt wie dieser, sondern für alle sichtbar, nicht von unerklärlicher Traurigkeit gezeugt, sondern von einer Gestalt, die sich nun auf die Tanzfläche drängte. Hände
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