Kinder des Holocaust
jahrelangen Isolation.
Doch er zweifelte daran. Die Schmerzen fühlten sich viel zu real an.
Es gab noch einen anderen Umstand hinsichtlich seiner Erkrankung, der ihn vor ein Rätsel stellte. Trotz aller Anstrengungen war es ihm bislang mißlungen, sich darauf einen Reim zu machen, und deshalb hatte er stets davon abgesehen, ihn gegenüber den verschiedenen Ärzten und Kliniken drunten, mit denen er bezüglich seiner Krankheit in Funkverbindung gestanden hatte, überhaupt zu erwähnen. Nun war es zu spät, er war zu krank, um die Kontrollen des Senders noch handhaben zu können.
Es hatte den Anschein, als verschlimmere sein Schmerz sich jedesmal, wenn der Satellit Nordkalifornien überquerte. Mitten in der Nacht weckte Bill Kellers erregtes, ruheloses Geraune seine Schwester auf. »Was ist denn los?« fragte sie verschlafen, während sie zu begreifen versuchte, was er ihr sagen wollte. Sie setzte sich im Bett auf und rieb sich die Augen, während sein Gequengel beinahe zu einem Getobe anschwoll.
»Hoppy Harrington«, rief er tief in ihrem Innern. »Er hat den Satelliten übernommen! Hoppy hat Dangerfields Satellit übernommen!« Er zeterte immerfort weiter, außer sich vor Aufregung, und wiederholte die Neuigkeit unablässig.
»Woher weißt du das?«
»Mr. Bluthgeld sagt es. Er ist unten, aber er kann immer noch sehen, was oben vorgeht. Er kann nichts tun, und deshalb ist er ganz wütend. Er weiß noch immer über uns alle hier Bescheid. Er haßt Hoppy, weil Hoppy ihm den Garaus gemacht hat.«
»Und was ist mit Dangerfield?« fragte Edie. »Ist er jetzt auch tot?«
»Er ist nicht unten«, antwortete ihr Bruder nach längerer Pause. »Also nehme ich an, noch nicht.«
»Wem soll ich's sagen?« fragte Edie ihn. »Was Hoppy getan hat?«
»Erzähl's Mama«, riet ihr Bruder eindringlich. »Geh sofort zu ihr.«
Edie stieg aus dem Bett, eilte zur Tür und durch den Korridor zum Schlafzimmer ihrer Eltern. »Mama«, rief sie, als sie die Tür aufriß, »ich muß dir was sagen ...« Und da erstickte ihre Stimme; ihre Mutter war nicht da. Nur eine Gestalt lag im Bett und schlief: ihr Vater, allein. Ihre Mutter – irgendwie erkannte sie es sofort und ohne Einschränkung – war fort und würde nie wiederkehren.
»Wo ist sie?« zeterte Bill in Edies Leib. »Sie ist nicht hier, ich weiß es, ich kann sie nicht wahrnehmen.«
Langsam schloß Edie die Tür des Schlafzimmers. Was soll ich nur tun? fragte sie sich. Ziellos entfernte sie sich von dem Schlafzimmer, und es schauderte ihr infolge der nächtlichen Kälte. »Sei still«, forderte sie Bill auf, und er hielt sich mit
seinen Äußerungen ein wenig zurück.
»Du mußt sie suchen«, verlangte Bill. »Sie muß doch irgendwo zu finden sein.«
»Kann ich nicht«, erwiderte sie, sich vollkommen darüber im klaren, daß so etwas aussichtslos wäre. »Laß mich mal überlegen, was wir sonst tun könnten«, fügte sie hinzu und ging zurück in ihr Schlafzimmer, um ihren Morgenmantel und die Hausschuhe anzuziehen.
»Sie haben hier ein sehr nettes Zuhause«, sagte Bonny zu Ella Hardy. »Für mich ist's allerdings seltsam, nach so langer Zeit wieder in Berkeley zu sein.« Sie verspürte übermächtige Müdigkeit. »Ich werde mich wohl jetzt hinlegen«, sagte sie. Es war zwei Uhr morgens. »Wir haben die Reise in unwahrscheinlich guter Zeit geschafft, oder nicht?« meinte sie, indem sie Andrew Gill und Stuart McConchie anschaute. »Noch vor einem Jahr hätten wir bestimmt drei Tage länger gebraucht.«
»Ja«, sagte Gill und gähnte. Er sah ebenfalls müde aus. Weil sie für die Fahrt seinen Pferdewagen benutzt hatten, war meistenteils er es gewesen, der die Zügel hielt.
»Um diese Uhrzeit, Mrs. Keller«, sagte Mr. Hardy, »schalten wir im allgemeinen für einen sehr späten Durchgang des Satelliten noch einmal unser Radio ein.«
»Oh«, machte sie, ohne besonders interessiert zu sein, doch dessen gegenwärtig, daß es sich nicht vermeiden ließ, höflichkeitshalber wenigstens noch einige Augenblicke lang zuzuhören. »Dann haben Sie hier in der Gegend also zweimal täglich Empfang.«
»Jawohl«, bestätigte Mrs. Hardy, »und wir finden, offen gestanden, daß es sich lohnt, so lange aufzubleiben. In den letzten Wochen allerdings ...« Sie vollführte eine Geste. »Ich vermute, Sie wissen's genauso wie wir. Dangerfield ist inzwischen ein schwerkranker Mann.«
Für einen Moment schwiegen alle.
»Um die äußerst unerfreuliche Tatsache unumwunden anzusprechen«, sagte
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