Kinder des Holocaust
Hardy, »wir haben ihn jetzt ungefähr einen ganzen Tag lang nicht gehört, nur ein Programm mit Musik aus irgendwelchen leichten Opern, das er automatisch immer wieder laufen gelassen hat ... Daher ...« Er blickte die vier anderen Anwesenden an. »Deshalb richtet sich unsere Hoffnung ziemlich stark auf diesen Spätempfang.«
Morgen ist soviel an Geschäftlichem zu erledigen, dachte Bonny, aber er hat recht, wir müssen aufbleiben, um möglicherweise Klarheit zu erhalten. Wir müssen wissen, was droben im Satelliten geschieht. Es ist einfach zu wichtig für uns alle. Sie war traurig. Walt Dangerfield, dachte sie, liegst du dort oben einsam und allein im Sterben? Oder bist du schön tot, und wir wissen es bloß noch nicht?
Wird die Musik aus leichten Opern in dem Fall für immer weiterlaufen? überlegte sie. Oder wenigstens, bis der Satellit zur Erde zurückstürzt oder ins All abtreibt, um letztendlich irgendwann in die Sonne zu stürzen?
»Ich schalte das Radio jetzt ein«, sagte Hardy, indem er auf seine Armbanduhr blickte. Er ging quer durchs Zimmer zum Radio und schaltete es behutsam an. »Es dauert ziemlich lang, bis er warm ist«, sagte er im Tonfall einer Entschuldigung. »Ich glaube, eine dieser alten Röhren ist schon so gut wie hinüber. Wir haben beim Technikus-Verband West Berkeley eine Inspektion beantragt, aber es hat geheißen, sie haben soviel zu tun, es wird noch geraume Zeit vergehen, bis man sich mit unserem Apparat befassen kann. Ich habe mal selber reingeschaut, aber ...« Reumütig zuckte er die Schultern. »Bei meinem letzten Versuch, ihn zu reparieren, habe ich bloß noch mehr kaputtgemacht.«
»Sie schrecken Mr. Gill ja richtig ab, was die Glaubwürdigkeit unserer technischen Leistungsfähigkeit angeht«, meinte Stuart.
»O nein«, sagte Gill. »Ich verstehe das vollkommen. Ein Radio ist ein Fall für einen Technikus. In West Marin ist's genauso.«
»Stuart hat erwähnt«, wandte sich Mrs. Hardy an Bonny, »daß Sie früher in der hiesigen Gegend gewohnt haben.«
»Ich habe eine Zeitlang im Strahlenlabor gearbeitet«, erzählte Bonny. »Und ich war draußen in Livermore für die Universität tätig. Aber natürlich ...« Sie zögerte. »Alles ist so verändert. Heute kann ich mich wohl kaum noch zurechtfinden. Als wir durch die Stadt gefahren sind, habe ich nichts wiedererkannt, nur die San Pablo Avenue selbst. Diese vielen kleinen Geschäfte sehen so neu aus.«
»Sind sie auch«, sagte Dean Hardy. Jetzt drang Statik aus dem Radio, und er beugte sich vor, lauschte aufmerksam. »Meistens empfangen wir die späte Sendung auf sechshundertvierzig Kilohertz. Entschuldigung.« er wandte den anderen den Rücken zu und befaßte sich angestrengt mit dem Radio.
»Am besten drehen wir die Öllampe höher«, empfahl Gill, »dann kann er beim Einstellen besser sehen.«
Bonny tat wie geheißen, insgeheim verwundert, weil man sogar in der Stadt noch von den primitiven Öllampen abhängig war; sie hatte angenommen, man bediene sich hier längst wieder der Elektrizität, zumindest in Teilbereichen. In mancher Beziehung, ersah sie, stand man hier hinter West Marin zurück. Und in Bolinas ...
»Aha«, unterbrach Mr. Hardy ihre Gedankengänge. »Ich glaube, da ist er. Und diesmal nicht mit Opernmusik.« Sein Gesicht, das von Schweiß glitzerte, strahlte vor Begeisterung.
»Ach Gott, ach Gott«, sagte Ella Hardy, »um Himmels willen, hoffentlich geht's ihm besser.« Voller Unruhe rang sie die Hände.
Aus dem Lautsprecher kam auf einmal ziemlich laut eine allen seit langem wohlvertraute, freundliche, ungezwungene Stimme. »Hallo, ihr Nachtratten da unten, was glaubt ihr wohl, wer das hier ist, der euch um diese späte Stunde noch Hallohallo-hallo zuruft?« Dangerfield lachte. »Jawohl, Freunde der Nacht, ich bin wach und putzmunter, in ganzer Länge bin ich hier oben auf den Beinen, und ich spiele wie ausgeflippt an all diesen bewährten alten Knöpfen und Schaltern ... Jawohl, teure Freunde?« Seine Stimme besaß einen herzhaft-frischen Klang, und rings um Bonny entkrampften sich auch die Mienen der übrigen Anwesenden, und der freudige Schwung, der aus der Stimme sprach, brachte alle zum Lächeln. Die Köpfe nickten in stummer Einmütigkeit.
»Hören Sie's?« meinte Ella Hardy. »Es geht ihm wahrhaftig besser. Er wird gesund, man kann's regelrecht hören. Er sagt's nicht bloß so, man merkt den Unterschied.«
»Huuudi-huudi-hu«, jodelte Dangerfield. »So, nun wollen wir mal sehen, was gibt's
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