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Kinder des Holocaust

Kinder des Holocaust

Titel: Kinder des Holocaust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip K. Dick
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bedienen. Nachteilig war an ihnen gewesen, daß er bis vor kurzem nichts von ihnen gewußt hatte. Vielleicht hätte er sie mit der Zeit durch intensive Psychoanalyse noch entdeckt, so daß dies Verhängnis vermieden worden wäre. Aber das war zu spät, um sich solchen Gedanken hinzugeben. Er begann sich in die Richtung zu entfernen, aus der er gekommen war. Ich kann durch dies Verkehrsgewühl gelangen und diese Gegend verlassen, versicherte er sich. Um dies zu beweisen, trat er einfach vom Gehweg in den dichten Strom von Autos; andere Menschen taten das gleiche, andere Leute, die sich zu Fuß unterwegs befanden, von denen viele irgendwelche Gegenstände ihres Hausrats mitschleppten, Bücher, Lampen, sogar einen Vogel im Käfig oder eine Katze. Er stieß zu ihnen, winkte ihnen, um anzuzeigen, daß sie mit ihm über die Straße gehen sollten, denn er war es, der nach Belieben seines Weges ziehen konnte.
    Der Verkehr war nahezu zum Stillstand gekommen. Es sah so aus, als würde das durch eine Anzahl von Autos verursacht, die sich weiter vorn aus einer Nebenstraße ins Gewühl schoben, aber er wußte es besser; das war nur die scheinbare Ursache – der wahre Grund war sein Wille, die Straße zu überqueren. Unmittelbar vor ihm war eine Lücke zwischen den Fahrzeugen, und Dr. Bluthgeld führte die Menschen, die zu Fuß unterwegs waren und sich ihm anschlossen, hinüber zur anderen Seite.
    Wohin will ich denn gehen? fragte er sich, achtete nicht auf den Dank, mit dem die Umstehenden ihn überhäuften; alle versuchten sie, ihm klarzumachen, wie dankbar sie ihm seien. Hinaus aufs Land, fort von der Stadt? Ich bin für die Stadt eine Gefahr, erkannte er. Ich sollte achtzig oder hundert Kilometer weit nach Osten gehen, vielleicht in die Sierras, an irgendeinen ganz entlegenen Ort. West Marin. Ich könnte wieder dorthin. Bonny Keller ist dort. Ich könnte bei ihr und George bleiben. Ich glaube, das dürfte weit genug entfernt sein, aber falls es nicht so ist, werde ich weiterziehen. Ich muß mich von all diesen Menschen absondern, sie verdienen es nicht, noch schwerer gestraft zu werden. Falls nötig, werde ich für immer weiterziehen, niemals an irgendeinem Ort bleiben.
    Selbstverständlich kann ich nicht mit dem Auto nach West Marin gelangen, sah er ein. Keines dieser Autos, die hier entlangschleichen, wird je wieder irgendwo hinfahren. Die Verkehrsstockung ist viel zu umfangreich. Und zweifellos ist die Richardson-Brücke eingestürzt. Ich muß laufen. Es wird Tage dauern, aber ich werde hingelangen. Ich werde an der Black Point Road entlangmarschieren, bis Vallejo, dann den Weg durchs Moor nehmen. Das Land ist völlig flach, notfalls kann ich überall querfeldein wandern.
    Auf jeden Fall ist das eine Art von Buße für das, was ich angerichtet habe. Es wird eine freiwillige Pilgerreise sein, ein Mittel zum Heilen der Seele.
    Er machte sich auf den Weg, schenkte mit vollem Bewußtsein seine Aufmerksamkeit dem ringsum entstandenen Schaden; er malte sich die Möglichkeit aus, ihn beheben zu können, die Stadt – wenn so etwas überhaupt je wieder durchführbar sein sollte – in ihrem ursprünglichen Zustand wiederherzustellen. Wo er an einem Gebäude vorbeikam, das zusammengebrochen war, blieb er stehen und sagte in Gedanken: Möge dies Haus wiederaufstehen. Wo er Verletzte sah, dachte er: Mögen diese Menschen frei von Schuld werden und so Vergebung finden. Dabei vollführte er jedesmal mit der Hand eine Bewegung, die er sich eigens für diesen Zweck hatte einfallen lassen: sie zeigte seine Entschlossenheit an, dafür zu sorgen, daß derartige Dinge nie wieder vorkamen. Kann sein, daß die Menschen nun ihre Lektion ein für allemal gelernt haben, dachte er. Möglicherweise lassen sie mich von nun an in Frieden.
    Aber womöglich, erwog er, schlugen sie den entgegengesetzten Weg ein; es mochte sein, daß sie, nachdem sie sich aus den Ruinen ihrer Häuser emporgearbeitet hatten, die noch entschiedenere Absicht entwickeln, ihn zu vernichten. Auf lange Sicht mochte ihre Feindseligkeit gegen ihn, statt nachzulassen, durch die heutigen Geschehnisse noch verstärkt werden.
    Er empfand Furcht, als er an ihr Streben nach Rache dachte. Vielleicht sollte ich mich verstecken, überlegte er. Bei dem Namen ›Mr. Tree‹ bleiben oder mir irgendeinen anderen erfundenen Namen zulegen, um unterzutauchen. Gegenwärtig haben sie alle Achtung vor mir ... aber ich befürchte, das wird nicht anhalten.
    Und doch, obwohl er darüber volle Klarheit

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