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Kinder des Holocaust

Kinder des Holocaust

Titel: Kinder des Holocaust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip K. Dick
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besaß, gab er ihnen fortgesetzt seine besonderen Zeichen, während er seines Weges ging. Noch immer verwendete er Mühe darauf, für sie eine Wiedergutmachung zu bewirken. In seinen Gefühlen war kein Platz für Feindschaft; davon war er völlig frei. Ausschließlich sie hegten Haß.

    Am Rande der Bucht verließ Dr. Bluthgeld das dichte Gedränge der Fahrzeuge und sah überall an der anderen Seite des Wassers die weißlichen, glasartigen Reste der vernichteten Stadt San Franzisko liegen. Nichts stand noch. Darüber wallten Rauch und gelblicher Feuerschein in einer Weise, die er nahezu nicht zu glauben vermochte. Man hatte den Eindruck, als wäre die Stadt zu einem Scheit Kaminholz geworden und vollständig zu schlackiger Asche niedergebrannt. Dennoch flohen noch Menschen aus ihr. Auf dem Wasserspiegel sah er Trümmer schaukeln; Leute hatten alle erdenklichen Gegenstände ins Wasser geworfen und klammerten sich an sie, versuchten so durch die Bucht hinüber in den Kreis West Marin zu kommen.
    Dr. Bluthgeld verharrte, fühlte sich außerstande zum Weitergehen, seine Pilgerschaft war vergessen. Erst mußte er ihnen das Heil bringen, danach möglichst auch der Stadt selbst. Er ließ seine eigenen Bedürfnisse vorerst außer acht. Er konzentrierte sich auf die Stadt, benutzte beide Hände, vollführte neue Gebärden, die ihm bis dahin nie eingefallen waren; er versuchte es mit allem, was ihm in den Sinn kam, und zu guter Letzt verzog sich der Rauch. Das gab ihm Hoffnung. Doch die Menschen, die auf dem Wasser trieben, sich in Sicherheit bringen wollten, verschwanden nach und nach, ihre Zahl nahm ab; er sah immer weniger, bis zuletzt in der ganzen Bucht kein einziger dieser Flüchtlinge sich noch erspähen ließ, und nur bloße Trümmerstücke blieben zurück.
    Folglich konzentrierte er sich darauf, es den Menschen zu ermöglichen, sich aus eigener Kraft zu retten. Er dachte an die Ausfallstraßen im Norden und daran, wohin die Leute sich wenden sollten, was sie brauchten. An erster Stelle Wasser, dann Lebensmittel. Er lenkte seine Gedanken auf die Armee, wie sie Nahrung lieferte, an das Rote Kreuz; er richtete seine Gedanken auf kleine Ortschaften auf dem Lande, wie sie den Flüchtlingen ihre Hilfsmittel und Vorräte zugänglich machten. Schließlich begann sich – gewissermaßen mit Widerstreben – abzuzeichnen, was er wünschte, und er blieb noch lange dort, wo er sich befand, wirkte darauf hin, daß alles entsprechend anlief. Die Lage besserte sich. Die Menschen erhielten Erste Hilfe gegen ihre Verbrennungen; dafür sorgte er. Auch kümmerte er sich um die Linderung ihrer ungeheuren Furcht; das war wichtig. Er beobachtete erste Anzeichen davon, daß sie sich – wenigstens ansatzweise – unter den veränderten Bedingungen einzurichten anfingen.
    Er bemerkte, daß sich sonderbarerweise, während er an der Verbesserung ihrer Situation arbeitete, zur gleichen Zeit – und das zu seiner Überraschung und seinem Erschrecken – sein eigener Zustand ganz erheblich verschlechtert hatte. In seinem Einsatz für das Wohlergehen der Allgemeinheit hatte er alles verloren, denn nun schlotterte die Kleidung in Fetzen an ihm, als sei sie aus alten Säcken gemacht; aus seinen Schuhen ragten ihm die Zehen; von seinem Gesicht hing ein struppiger Bart herab, über seinen Mund war ein Schurrbart gewachsen, das Kopfhaar bedeckte seine Ohren bis auf den zerrissenen Kragen, und seine Zähne – die Zähne waren ihm sogar ausgefallen. Er fühlte sich alt, krank und ausgemergelt, aber es war die Anstrengung wert gewesen. Wie lange hatte er hier gestanden und gewirkt? Der Strom von Fahrzeugen war längst versiegt. Nur beschädigte, aufgegebene Wracks lagen längs der Stadtautobahn zu seiner Rechten. Waren es Wochen gewesen? Möglicherweise Monate. Er verspürte Hunger, seine Beine zitterten vor Kälte. So trat er seine Wanderung erneut an.
    Ich habe alles für sie hingegeben, was ich besaß, sagte er sich, und bei diesem Gedanken empfand er einigen Unmut, mehr als nur ein Fünkchen Ärger. Was habe ich als Gegenleistung erhalten? Ich muß die Haare geschnitten bekommen, ich brauche Essen und ärztlichen Beistand. Jetzt bin ich zu erschöpft, befand er, um zu Fuß nach West Marin gehen zu können. Ich muß noch für eine Weile hier an der Bucht bleiben, bis ich mich erholt habe und wieder bei Kräften bin. Seine Mißstimmung wuchs, während er sich dahinschleppte.
    Doch jedenfalls hatte er seine Pflicht getan. Nicht weit voraus erspähte er

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