Kinder des Mars
Der katholische Glaube ist überholt. Ein alter Unsterblicher wie Ihr sollte es ohnehin besser wissen, als sich einer Religion anzuschließen«, entgegnete Pera. »Für uns gibt es keinen heiligen Sonntag.«
Der Inquisitor ignorierte ihren Angriff auf seine Spiritualität. Stattdessen sagte er: »Ich mag es nicht, überhaupt gestört zu werden. Denn das bedeutet, aufgestöbert zu werden. Jemand hat mich gefunden. Das gefällt mir gar nicht. Es gibt nur einen Grund dafür, und auch den finde ich nicht sehr angenehm: Arbeit. Dabei ist es nicht die Arbeit selbst, die mir missfällt, im Gegenteil. Es gibt genau eine Sache, in der ich gut bin. So gut, dass die Berufsbezeichnung zu meinem Namen geworden ist. Deswegen werde ich kontaktiert. Nie wegen etwas anderem. Und ich mag meinen Job. Ich bin ein Meister darin. Doch leider kann ich ihn in den seltensten Fällen vor Ort erledigen. Oft sind lange Geschäftsreisen damit verbunden. Ich reise nicht gern. Und ich lasse erst recht nicht gern meinen geregelten Tagesablauf durcheinander bringen. Züge, Flüge, verschiedene Zeitzonen, lange Verhöre und so weiter erschweren das Einhalten von geregelten Essens- und Schlafenszeiten.«
Pera studierte sein von Falten durchfurchtes Gesicht. Niemand vermochte zu sagen, wie alt der Inquisitor war, nicht einmal er selbst. Körperlich machte er einen gesunden, kräftigen Eindruck, doch sein Haar war schlohweiß. Für einen Unsterblichen war es ungewöhnlich, überhaupt Anzeichen des Alters zu zeigen, folglich gaben sein Haar und seine Falten eine vage Ahnung von der immensen Lebensdauer des Inquisitors.
Pera wartete, ob er noch etwas hinzuzufügen hätte, doch er schwieg. »Seid Ihr fertig mit Eurem Vortrag?« erkundigte sie sich.
»Ja«, antwortete der Alte schlicht.
»Es schmeckt Euch also nicht, dass jemand Eure Dienste benötigt?«
»Nein. Wie hat dieses Wiesel mich überhaupt gefunden?« Der Inquisitor warf dem Boten einen missbilligenden Blick zu. »Werde ich nie alt genug sein, um in Ruhestand zu gehen?«
» Natürlich nicht«, sagte Pera. »Ein Unsterblicher erreicht nie das Rentenalter.«
»Das ist mein verdammtes Recht. Und Ihr habt keinen Anspruch auf die Burg.«
Die höfliche Anrede war keine Respektbezeugung, sondern Macht der Gewohnheit. Der Inquisitor und Pera waren so alt und kannten sich schon so lange, dass es unvorstellbar schien, einander mit dem modernen Sie anzureden. Und für das vertrauliche Du standen sie sich nicht nahe genug.
»Das alte Gemäuer interessiert mich nicht.« Pera schüttelte missbilligend den Kopf. Sie konnte sich ganz gut vorstellen, in was für einer halbverfallenen Ruine der Inquisitor hauste. Sie kannte die Burgen in Nordspanien. Die, die in gutem Zustand waren, waren unbewohnbar, denn sie wurden vom Land oder der Gemeinde in Schuss gehalten und als Ausflugsort für Touristen angepriesen.
Natürlich gab es auch gut erhaltene Paläste und Schlösser in Privathand, wie die ihren in Madrid. Doch die kannte kein Mensch und an den Toren in den Mauern waren »Betreten verboten. Privateigentum« – Schilder angebracht.
Der Inquisitor besaß kein solches Privateigentum. Das wäre Pera nicht entgangen. Und sie wusste, dass er kein Interesse daran hatte. Er war ein Vagabund, ein Eremit, der sich in Höhlen verkroch, die er leer vorfand. Düstere Ruinen aus dem Mittelalter und gotische Festungen mit weit verzweigten Kellern und hohen Türmen waren ihm am liebsten. Das hatte die Suche nach ihm etwas eingeschränkt und somit erleichtert.
»Weshalb stört Ihr mich dann?«
»Es gibt Arbeit für Euch.«
»Ich habe es befürchtet. Dabei dachte ich, ich hätte mich eben verständlich ausgedrückt. Ich bin im Ruhestand. Außerdem bin ich nicht der Einzige, der tun kann, was ich tue.«
»Aber Ihr seid der Beste, wie Ihr selbst zugegeben habt.« Pera meinte das nicht als Schmeichelei und machte das mit ihren nächsten Worten deutlich. »Oder wart es einmal. Und selbst dann nur, weil niemand sonst sich die Mühe machen wollte. Was auch jetzt der Fall ist. Selbstverständlich haben andere Eure Fähigkeiten, aber Vivian hat nach Euch gefragt.« Auch das wollte Pera nicht als Ehre verstanden wissen, darum fügte sie hinzu: »Zweifelsohne nur, weil sie niemanden sonst belästigen wollte.«
Die Falten in den äußeren Augenwinkeln des Inquisitors vertieften sich. Sonst verriet nichts, dass er lächelte. Sein Mund blieb starr.
Pera wusste, dass der Inquisitor ihre Großnichte kannte und sie mochte. Das
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