Kinder des Mars
Sollte er schmoren. Barry hatte es verdient. Auch wenn er nicht geschossen hatte, so war er doch der Komplize eines Mörders. Er konnte ruhig ein wenig zappeln. Wie hart oder harmlos das Folgende wurde, hing ohnehin allein von Barry ab, von niemandem sonst, wie er bald genug herausfinden sollte.
Das anstehende Verhör durch den Inquisitor würde für Barry nur schlimm werden, wenn er ein schlimmer Mensch war, und das hatte er selbst zu verantworten. Der alte Spanier war ein Meister im Gedankenlesen. Er drang in den Kopf des Verdächtigen ein und erforschte jeden verborgenen Winkel seines Geistes. Der Inquisitor fand alles, jedes noch so gut gehütete Geheimnis und jede verdrängte Erinnerung.
Darum machte diesen Job niemand gern. Für den Frager konnte es genauso unangenehm sein wie für den Befragten. Wer hatte schon ein Interesse daran, in das kranke Hirn eines Verbrechers zu sehen? Kaum jemand wollte mit den ekelhaften Dingen konfrontiert werden, die dort lauerten.
Nur dem Inquisitor machte das nichts aus. Er betrachtete alles mit seelenruhiger Gleichgültigkeit. Er gab auch nie ein Urteil ab, erstattete nur Bericht über seine Funde. Seine ausdruckslose Miene war unergründlich. In ihm konnte niemand lesen. Er verbarg sich, verschloss seinen Geist, seine Seele und sein Herz. Doch Vivian zweifelte nicht daran, dass er all das hatte. Darum glaubte sie auch, dass er Gefühle hatte. Nur wusste er sie besser zu verbergen als jeder andere.
Vor ihm dagegen konnte nichts verborgen werden. Wenn nötig nutzte der Inquisitor quälende Gedanken oder stocherte in alten Wunden, um an Informationen zu kommen, die der Verhörte zu verstecken suchte. Dieser Teil war dann auch für den Missetäter unangenehm, falls er sich nicht schon vorher für seine Vergangenheit geschämt hatte.
Jemand, der reinen Gewissens war, brauchte den Inquisitor nicht zu fürchten.
Als der Spanier eintraf, war Barry in guter Verfassung, ganz so, wie es der Inquisitor bevorzugte. Menschen, die vor Erschöpfung oder Furcht halb bewusstlos waren, neigten dazu, ihren Verstand zu verlieren. Verängstigte Seelen machten einen Haufen Arbeit, weil sie automatische Schutzmechanismen einsetzten. Reflexartig verschlossen sie sich, ohne dass sie selbst es überhaupt bemerkten.
Da der Inquisitor mit den Erinnerungen und Gefühlen der Zielperson arbeitete, konnte er das nicht gebrauchen. Er sah in ihren Kopf, oder auch ihr Herz, je nachdem, wie man es nennen wollte. Ihm waren die Begriffe gleich. Er hatte einmal versucht, es Vivian mit folgender Analogie zu erklären: Es spielte doch keine Rolle, wo die Informationen sich befanden, aber in einem Wirrkopf ohne Verstand war es nun einmal durcheinander und ein Hasenherz pochte vor lauter Panik so schnell, dass alle Bilder verwackelten.
Dabei war es so schon schlimm genug. Die meisten Menschen hatten ein heilloses Durcheinander in ihrem Kopf, nichts als unscharfe Eindrücke und Erinnerungsfetzen. Bei jüngeren Ereignissen ging es noch, doch je weiter er in die Vergangenheit vordrang, desto schlimmer wurde es. Wenn dann noch Stress dazukam, wurde die Arbeit wahrlich mühselig. Darum musste der zu Befragende in gutem Zustand sein.
Furchtlos war Barry nicht gerade, aber das konnte leider niemand abstellen. Immerhin war er satt, hatte geschlafen und war die letzten Stunden in Ruhe gelassen worden. Seine Aufregung hatte sich gelegt, wenn auch offensichtlich nicht die nagende Sorge, was mit ihm geschehen würde. Ein kurzer Blick durch das kleine Fenster in der Tür zeigte Vivian, dass er auf und ab ging. Bevor er sie bemerken und die ewig gleiche Frage, was mit ihm geschehen sollte, wiederholen konnte, schloss sie die Luke wieder.
Vivian hatte dem Inquisitor bereits berichtet. Barry war ein Angsthase. Nun, da konnte man nichts machen.
»Was willst du wissen?« fragte sie der Inquisitor schlicht.
Mit Vivian war er nicht in den Anredeformen aus vergangenen Zeiten stecken geblieben. Er gab gerne zu, dass dies dem Mädchen zu verdanken war, nicht ihm. Sie war stets auf dem Laufenden und beachtete zeitgenössische Konventionen, denn sie interessierte sich sehr für die Welt, und alles, was in ihr vorging. Er ließ sich das Siezen von ihr gefallen, als das in Mode kam, und nun das Duzen.
»Wer gab den Auftrag, George Fuller zu töten?« antwortete Vivian.
»Das ist alles?«
»Ja. Wir wissen bereits, wer der Mörder ist. Beziehungsweise war. Hank Tennant ist tot. Er hatte keine direkte Verbindung zu Fuller. Barry hat
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