Kinder des Mars
Fuller war kein alltäglicher Raubüberfall und erst Recht kein Zufall. Wir müssen wissen, wer dahinter steckt. Egal wie.«
Das folgende Schweigen dauerte nicht lange.
»Da sind wir.« Der verschneite Central Park lag verlassen und harmlos in der trüben Nachmittagssonne vor ihnen.
»Danke.«
»Kein Problem. Unser Interesse an den Hintermännern ist so groß wie deines.«
Vivian nickte und öffnete die Tür. Sie sah dem Polizeiwagen hinterher, der die sechsundsechzigste Straße hinunterfuhr. Dann drehte sie sich um und stapfte durch den Schnee abseits der Wege. Sie hatte einen weiteren Anruf zu erledigen. »Barry ist in der ersten Zelle links. Die Zweitschlüssel habe ich für dich auf meinen Schreibtisch gelegt.«
»Gut.«
»Die nächsten Stunden bin ich nicht zu erreichen. Ruf nicht an. Ich melde mich bei dir.« Vivian schaltete ihr Handy aus und suchte nach einem Unterschlupf. Inmitten von dichten Büschen, die ihr Schutz boten, rollte sie sich wie eine Katze zusammen. Hier konnte sie nicht gesehen werden.
Sie hatte nicht einmal an einen Mantel gedacht, trug nur Jeans und einen dicken Wollpulli. Vivian passte ihre Kleidung der Jahreszeit an, um nicht aufzufallen, um menschlicher zu wirken. Doch sie war es nicht. Sie lag an einem Wintertag im Freien, bei Minusgraden, und fror nicht. Ein Bett oder eine Decke waren überflüssig. Sie wollte nur ein Stück Natur, die harte Erde unter sich und den Himmel über sich, wo niemand sie fand und wo kein Telefon klingelte.
Vivian kehrte nach siebzehn Stunden Schlaf im Schutz der Dunkelheit in ihr Büro zurück. Es war sieben Uhr früh. Bald würde die Sonne an diesem Samstagmorgen aufgehen. Sie hatte Hunger und warf einen Blick in den zweitürigen Kühlschrank, der jeden Tag von einem Cateringservice aufgefüllt wurde und allen Mitarbeitern zur Verfügung stand. Da in den letzten vierundzwanzig Stunden kaum jemand da gewesen war, war es höchste Zeit, ihn zu plündern.
Vivian ging von der Küche in ihr Büro und rief Cameron an. Nach dem fünften Klingeln nahm er ab. »Guten Morgen!« begrüßte sie ihn. »Wo bist du?«
»Im Keller.« Seine Stimme war schlaff, er klang müde. »Dein Anruf war das Stichwort zum Beenden des Verhörs.«
»Gut. Hast du Hunger?«
»Und wie!«
»Triff mich auf der Dachterasse. Ich bringe einen Picknickkorb mit.«
»Bis gleich.«
Vivian legte auf. In wenigen Minuten hatte sie den Korb gepackt. Dann schloss sie eine harmlos aussehende Tür neben der Küche auf. Der Raum dahinter war voll mit Akten und schien nichts außer Regalen und Papier zu enthalten. Man brauchte den Grundriss der Etage um zu sehen, dass er zu klein war. Nur jemand, der sich die Mühe machte, auch alle angrenzenden Räume auszumessen und mit dem Plan zu vergleichen, konnte entdecken, dass ein paar Quadratmeter verschwunden waren. Und selbst dann wusste er immer noch nicht, was es damit auf sich hatte und wie oder ob überhaupt sie zugänglich waren.
Nur Eingeweihte kannten das Versteck. Das Zimmer leer zu räumen brachte nichts. Der Tapete war nichts anzumerken. Vivian zog eine ganze Regalwand ein Stück nach vorn und drückte eine Stelle an der makellosen Wand. Sie sprang einen Spalt breit auf. Die ganze Wand war eine unsichtbare Tür und daher so schwer zu finden. Niemand achtete auf Decken- und Bodenfugen.
Dahinter kam die Tür zu einem begehbaren Safe zum Vorschein. Vivian ließ ihr Auge scannen. Nach einem Moment wurde der Zugang freigegeben. Neben der Notfallausrüstung, Waffen und Gold befanden sich darin ein Kühlschrank und eine Gefriertruhe, die über einen Anschluss im Boden mit Strom versorgt wurden.
Vivian angelte mehrere Plastikbeutel aus dem Kühlschrank und verließ den Safe. Sie rückte das Regal zurecht, fuhr mit dem Fuß über den Teppichboden, um geringe Schleifspuren zu verwischen, und schloss den Aktenraum ab.
In der Küche füllte sie das Blut aus den Beuteln in eine Kristallkaraffe. Damit war das Frühstück komplett. In ihrem Büro nahm sie frische Kleider aus einer Schublade, die sie für Fälle wie diese dort aufbewahrte. Sie hatte keine Zeit gehabt, nach Hause zu fahren. Vivian legte Jeans und Pullover ab, stopfte sie in einen Wäschesack, schlüpfte in ein paar graue Wollhosen und einen roten Norwegerpulli und zog ihre Stiefeletten wieder an. Bei diesem Wetter liefen viele Menschen so herum, mit der Ausnahme, dass diese Unterwäsche darunter trugen. Doch Vivian genügte es, wenn sie äußerlich normal aussah, sie fühlte sich
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