Kinder des Mars
Stunden, den alten Spanier ausfindig zu machen, und noch länger, ihn in ein Flugzeug zu verfrachten.
Vivians Großtante Pera, Schwester des Mars, deren voller Name Esperanza lautete, lebte schon seit undenklichen Zeiten mit ihrem Clan in Spanien. Sie hatte sich dort niedergelassen, als das Land noch gar nicht Spanien hieß. Pera hatte mit dem Aufbau ihres eigenen geheimen Imperiums begonnen, lange bevor ihr Bruder Mars Interesse an den Römern gefunden hatte und in Italien sesshaft geworden war.
Der Inquisitor war ein Einsiedler mit ungeklärter Abstammung. Man wusste nur, dass er in dem Land, das heute Spanien hieß, geboren war, und als solcher seine Heimat nicht verlassen wollte. Damit lebte er aber auf Peras Hoheitsgebiet, und nicht einmal die kleinste Fliege entkam ihrem engmaschigen Netz.
Pera war eine wahre Matriarchin und regierte mit fester Hand. Nach einem Anruf Vivians schickte sie ihre Spürhunde los. Sie hätten sich niemals getraut, ohne den Gesuchten wieder vor ihr zu erscheinen.
Das weiche Licht der spanischen Wintersonne fiel in Streifen durch die hohen schlanken Fenster in den Audienzsaal, an dessen Nordseite Pera auf ihrem reich verzierten Ebenholzstuhl thronte. »Wo war er?«
»In einer alten Burg in der Nähe von Valladolid, Herrin.« Der Bote kniete vor Pera. Er tat dies nicht nur aus dem gebotenen Respekt. Er betete seine Herrin an, schon seit Jahrhunderten, seit er sie zum ersten Mal erblickt hatte, und ließ keine Gelegenheit aus, ihr seine Zuneigung zu beweisen. Sie war schön, und sie war stark. Gerüchte sagten, sie sei nicht so schön wie Venus, doch er war Venus nie begegnet. So konnte er keine Vergleiche ziehen und lediglich wahrheitsgemäß sagen, dass Pera die schönste Frau war, die er je gesehen hatte. Besonders gern sagte er dies in Hörweite seiner Herrin.
Ihr dichtes, schweres Haar war rabenschwarz und reichte bis zum Boden. Mehrere Zofen waren jeden Morgen damit beschäftigt, sich um die Pracht zu kümmern, sie zu pflegen und zu frisieren. Ihr Gesicht trug strenge Züge, anmutig, wie aus Stein gemeißelt, dennoch konnte ein Lächeln von ihr eben diesen Zügen eine weiche Sanftheit verleihen. Wenn sie denn lächelte. Zugegeben, das geschah nicht oft.
Pera sah nicht so ernst drein, weil sie Sorgen hatte. Würde und Härte lagen einfach in ihrer Natur. Ihr voller Name, Esperanza, bedeutete Hoffnung, und sie trug ihn mit großer Feierlichkeit, ebenso wie ihre langen grünen Kleider. Ein Anflug von Heiterkeit war selten, zumindest für ihre Untergebenen. Dennoch wirkte das nicht abschreckend, sondern machte sie im Gegenteil noch anziehender. Ein Lächeln von ihr war eine besondere Gunstbezeugung. Und jeder Tag brachte neue Hoffnung auf dieses Lächeln.
Auch sonst durften ihre Untertanen voll Hoffnung sein, denn unter Pera herrschte Frieden. Sie war ein gerechtes Clanoberhaupt und eine weise Regentin. Sie lernte aus der Vergangenheit, nutzte ihr Wissen für die Gegenwart und blickte vorausschauend in die Zukunft. Ihr Clan konnte sich auf sie verlassen, ebenso wie Pera sich auf ihren Clan verlassen konnte.
Ihre mentalen Fähigkeiten waren anders ausgeprägt als die des Inquisitors: Im Erlangen von konkreten Informationen war Pera nicht besonders gut, dafür war ihre emotionale Intuition sehr hoch entwickelt. Sie spürte jeden Stimmungswandel, jeden Anflug von Freude oder Unzufriedenheit, Zuneigung konnte ihr niemand vortäuschen und einen Lügner entlarvte sie sofort. Daher fiel es ihr leicht, nur die wahrhaft treuen Seelen um sich zu versammeln. Potentielle Verräter hatten keine Chance, in ihren Clan aufgenommen zu werden. Der Clan der Hoffnung stand nur den ehrlichen und ausgeglichenen offen. Für Zwietracht war kein Platz in einer Gemeinschaft, die nach Harmonie und Frieden strebte.
In dieser unruhigen Welt voller Unsicherheiten und Bedrohungen war es kein Wunder, dass Pera sich höchster Wertschätzung erfreute. Der Bote kannte niemanden, der sie nicht verehrte. Niemanden, außer dem Mann, den er soeben zu ihr gebracht hatte. Pera schenkte ihrem treuen Boten, der vor ihr kniete, den Hauch eines Lächelns und sicherte sich damit seine fortdauernde Anbetung. Er würde jedem davon erzählen, dem er begegnete.
Den Inquisitor konnte nichts und niemand dazu bringen, sein Knie zu beugen. »Ich schätze es nicht, bei der Siesta gestört zu werden. Dazu an einem Samstag, dem Tag vor dem heiligen Sonntag. Es ist Wochenende.«
»Haltet Ihr noch immer an den alten Dogmen fest?
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