Kinder des Mars
haben, doch dieses Geschäft war nicht erblich.
Damit hatte Vivian die Akte Fuller fürs Erste geschlossen. Bei Barry waren sie nicht weitergekommen. Der Inquisitor hatte Barrys Gedächtnis gelöscht und war dann nach Spanien zurückgereist – mit dem Schiff, schließlich hatte er jetzt Zeit. Und er hatte Recht behalten: Vivian war etwas eingefallen.
Sie hatte Barry auf freien Fuß gesetzt. Das Letzte, woran er sich erinnerte, war, dass ihm bei dem Transport von der Polizeistelle ins Gefängnis die Flucht gelungen war. Der alte Spanier hatte Barry glauben gemacht, dass er den beiden Polizisten entkommen war. So blieb jede Erinnerung an das Verbrechen erhalten, aber keine an die Begegnung mit seltsamen Fremden.
Nun hieß es abwarten. Vivians einzige Hoffnung war im Moment, dass Barry mit jemandem Kontakt aufnehmen würde, der sie weiterführte. Er wurde rund um die Uhr beobachtet, selbstverständlich ohne dass er es mitbekam. Bis sich etwas tat – und das konnte dauern – verschwanden George Fullers Papiere im Aktenschrank.
Doch dann war Jack bei ihr aufgetaucht. Vivian war überrascht gewesen. Ihr Büro war nicht gerade ein Anziehungspunkt für Laufkundschaft. Nur Mitarbeiter und bekannte Geschäftsleute kamen hierher. Die einzige Erklärung war, dass Jack Fuller mit George Fuller verwandt war und unglücklicherweise so auf sie gestoßen war. Verdammt. Hatte George Fuller nicht hinter sich aufgeräumt? Dann war es vielleicht nicht verwunderlich, dass er tot war, wenn er es mit der Geheimhaltung nicht allzu genau genommen hatte.
Vivian hatte in der Tür gestanden, die nicht offen war, weil sie schon für Jack Fuller geöffnet hatte, sondern weil sie gerade Billie und Logan verabschiedete.
»Was siehst du so besorgt drein?« hatte Billie gefragt.
»Nichts. Schönen Tag!« hatte sie gesagt.
In dem Moment war Jack aus dem Aufzug gestiegen, und Vivian hatte sich gewünscht, dem Pförtner eine andere Antwort gegeben zu haben. Sie hätte Fullers Sohn abwimmeln sollen und erst gar nicht mit ihm reden. Wider besseren Wissens hatte sie es doch getan. Wenn Mars Recht hatte, würde Jack bald zu ihrem Clan gehören. Doch eben das wollte sie verhindern, darum versuchte sie, ihn auf Abstand zu halten. Da sie mit Worten nicht erfolgreich gewesen war, hatte sie versucht, ihm seine Erinnerung zu nehmen.
Vivian war nicht der Inquisitor, aber ihre geistigen Kräfte genügten für gewöhnlich, um das Kurzzeitgedächtnis von Menschen zu manipulieren, wenn absolut notwendig. Sie dachte, sie könnte Jack die letzten Stunden und Tage vergessen lassen. Statt dessen war sie auf eine ungewöhnliche Barriere gestoßen. Unter Unsterblichen, Vampiren und Menschen gleichermaßen gab es nur sehr wenige, die ihr Inneres komplett abschirmen konnten. Zu ihrem und seinem Unglück gehörte Jack Fuller zu ihnen. Vivian wollte Jack schützen, doch Cassandra hatte für den Sohn der Hexe Krieg vorausgesehen.
Jack hatte behauptet, dass bereits ein Psychologe versucht habe, ihn zu hypnotisieren, und dass er immun sei. Vivian vermutete, dass er log. Sie beobachtete ihn seit George Fullers Tod und hatte keine Anzeichen dafür entdeckt, dass er eine Therapie machte. Zugegeben, sie überwachte ihn nicht rund um die Uhr. Es war möglich, dass er die Wahrheit sagte. Doch seine sture Verbissenheit und ablehnende Haltung sprachen dagegen, dass er von einem Außenstehenden Hilfe akzeptieren würde. So oder so spielte es keine Rolle, denn ihre geistigen Kräfte hatten nichts mit der Arbeit eines Therapeuten gemeinsam.
Vivian stand nicht lange allein im Flur. Jacks Schritte verhallten in den unteren Stockwerken, dafür kamen andere auf Vivian zu. Victoria gesellte sich zu ihr. Sie trat aus dem Zimmer, in das sie sich zurückgezogen hatte. Die Tür ließ sie offen und gab den Blick auf den Tiger frei, der ausgestreckt auf einem Teppich lag. Seine dschungelgrünen Augen hingen an Victoria. Diese lehnte sich lässig gegen die Wand und sah ihre Schwester mit funkelnden Augen an.
»Du hast gelauscht«, stellte Vivian trocken fest.
Victoria zuckte die Schultern. »Er ist ein hübscher Kerl.«
»Menschen sind keine Spielzeuge«, erinnerte Vivian sie.
»Ich bin eine Marsi. Und im Gegensatz zu dir weiß ich, was das bedeutet.«
»Falsch«, widersprach Vivian. »Für dich bedeutet es, blutrünstig und rücksichtslos zu sein. Aber das ist nicht alles. Mit Macht geht große Verantwortung einher.«
»Wir sind Kinder des Mars«, zischte Victoria gereizt. »Mars,
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