Kinder des Mars
Erscheinungsbild herrscht keine Einigkeit, eine Darstellung einer Striga auf einer Antiken Vase zeigt sie mit Flügeln, Succubi, Incubi und Dämonen gibt es mit und ohne Flügel. Das einzig gemeinsame ist, dass sie immer Menschen ähneln, meistens hässlichen. Die Augen sind mal menschlich, mal ganz rot oder schwarz, und eine namenlose Quelle eines sogenannten Augenzeugen behauptet, dass der Vampir, der ihn anfiel, blutige Tränen geweint habe. Warum wird nicht gesagt, nur darüber spekuliert, dass der angebliche Vampir traurig gewesen sei und plötzlich Reue empfunden habe, weshalb er dann auch von seinem Opfer abließ.«
»Das ist wohl ein Bericht aus der Neuzeit?« Ella rührte mit einem Holzstäbchen in ihrem Kaffee. Zum Glück begann die Aspirin langsam zu wirken.
»Genau, datiert auf 1901«, bestätigte Melissa.
»Da waren Vampire groß in Mode.«
»Ja. Historisch gesehen begann der Mythos von moderneren Vampiren im Mittelalter mit Vlad Tepes, dem Pfähler. Pfählen ist eine ziemliche Sauerei, dabei fließt jede Menge Blut. Das machte ihn wohl zum Vorbild für Bram Stokers Geschichte. In der Realität gibt es aber keine Berichte, dass Tepes, der Dracula genannt wurde, das Blut seiner Feinde getrunken hat.«
»Heißt Dracula nicht Drache?«
»Kleiner Drache, seinen Vater nannte man Dracul, den Drachen. Warum?«
»Das hat mich an die Drachensagen aus dem Mittelalter erinnert«, erklärte Ella. »Drachen fraßen gerne Menschen, besonders Jungfrauen. Große Helden retteten sie und erschlugen den Drachen. Nur hatte ich bei diesen Sagen immer den Eindruck, dass es den Drachen um den ganzen Menschen ging, so wie Raubtiere alles fressen, und nicht nur ums Blut.«
»Hm. Stimmt.«
»Die Verbindung ist natürlich trotzdem da. Beide töten Menschen. War der alte Dracul auch so ein Schlächter wie später sein Sohn?«
»Schlächter? Nein, seine Kriegstaten verblassen vor denen von Dracula«, sagte Melissa. »Aber er war ein Feldherr und Herrscher, der die Türken bekämpfte, er wird also nicht wenige Leben auf dem Gewissen haben.«
Ella nippte an ihrem Kaffee und stellte ihn gleich wieder ab. Er war noch immer zu heiß. »Doch er war nicht unsterblich und weder er noch sein Sohn haben Blut getrunken.«
Melissa nickte. »Richtig. Das ist Fiktion. Nach ihm gab es aber zwei berühmte Personen, die als Massenmörder in die Geschichte eingegangen sind und das Blut ihrer Opfer tranken. Erzsebet Bathory dachte, wenn sie junge Mädchen aussaugt, würde sie unsterblich. Soweit bekannt hat es nicht funktioniert, sie starb, eingemauert in einen Turm. Gilles de Rais hat gern Kinder gefoltert und wohl ihr Blut getrunken, zu welchem Zweck ist nicht klar. Ich glaube, er war einfach pervers.« Melissa sah von ihren Papieren auf. »Bleibt Byron, der englische Dichter. Wie bei Dracula gibt es keinen Beweis, dass er je Blut getrunken hätte, er war noch nicht mal ein Krieger, weil ihn sein Klumpfuß behinderte. Kurz vor seinem Tod schloss er sich zwar dem Freiheitskampf der Griechen an, aber er starb an Malaria – oder Syphilis – bevor er in eine Schlacht ziehen konnte. Die Idee, dass er ein Vampir sein könnte, hat er gegen seinen Willen selbst mitgestaltet, indem er über Vampire, Unsterbliche und ewig Verfluchte schrieb. Er meinte das wohl eher symbolisch für Seelenqualen, aber einige nahmen es wörtlich.«
»Hat nicht sein Leibarzt die erste Vampirgeschichte in Prosa geschrieben?« fragte Ella.
»Ja, Goethe und Byron haben gedichtet, Polidori schrieb eine Novelle. Mit Byron als Vampirfürst in der Hauptrolle, worüber Byron sich geärgert haben soll.«
»Also wie bei Dracula nur Fiktion.«
»Nur!« Melissa lachte. »Eine Milliarden-Dollar Industrie lebt heute von dieser Fiktion. Früher dagegen dienten sie als Erklärungsversuch für alles, worauf man keine rechte Antwort hatte, unverständliche plötzliche Tode, aufgeblähte Leichen, sogar Epidemien. Die Aufklärung und der wissenschaftliche Fortschritt hat dem Aberglauben mehr oder weniger ein Ende gesetzt, als Fantasie sind Blutsauger aber nach wie vor beliebt.«
Ella schüttelte den Kopf. »Verrückt, wo es doch genügend Belege für tatsächliche Blutkulte gibt. Seit Anbeginn der Menschheitsgeschichte wurden rund um den Globus Opfer von Menschen- und Tierblut dargebracht, um böse Geister abzuhalten. Besonders gierig waren die Götter der Azteken und Maya, aber die Priester der Ägypter, Inder, Griechen und Römer waren nicht viel besser. Die Druiden der Kelten
Weitere Kostenlose Bücher