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Kinder des Monsuns

Kinder des Monsuns

Titel: Kinder des Monsuns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Jimenez
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die Mädchen sind junge Studentinnen, keine Professionellen. Auch Masa erkennt an, dass ein gewisser Widerspruch darin liegen könnte, erst von zu Hause fortzulaufen, weil ihr Mann sich mit Nutten vergnügt, und ihren Fahrgästen, kaum dass der Taxameter läuft, dieselbe Versuchung schmackhaft zu machen. Noch widersprüchlicher erscheint es ihr aber, 14 Stunden pro Tag in einem Taxi arbeiten zu müssen und trotzdem nicht über die Runden zu kommen. So hat sie beschlossen, die Widersprüche – die Fotos mit den Bangkoker Freudenmädchen – im Handschuhfach aufzubewahren und sie ab und zu vorzuzeigen, wenn sie zusätzlich etwas Geld braucht.
    *
    Der Überlieferung nach soll die traditionelle thailändische Massage vor über 2 500 Jahren von Shivago Komparaj, dem Leibarzt Buddhas, |48| erfunden worden sein. Natürlich ist die Massage, der man heute in den Bordellen der thailändischen Hauptstadt frönt, viel älter, so alt wie das Leben selbst. Der Okzident hat immer schon eine besondere Faszination für die Erotik des Fernen Ostens gezeigt, den Mythos des sexuellen Paradieses, wo der Reisende all die Fantasien auszuleben hofft, die daheim nicht auf der Karte stehen, ein Ort, wo die Gelüste des Fleisches, welcher Art sie auch seien, stets Befriedigung finden.
    Natürlich ist vieles daran Legende, doch sicher ist auch, dass man in diesem Teil der Welt der Sexualität viel toleranter begegnet als im Westen. Weit entfernt von den moralischen Gewissheiten des Christentums und des Islams, muss die Liebe sich nur den sozialen Normen fügen, und diese lassen sich immer viel leichter abschütteln als jene des Glaubens. Die Grenze, die erotische Genüsse von anderen trennt, ist in einigen asiatischen Ländern viel verschwommener, daher ist in den Frisiersalons Bangkoks, Jakartas und Taipehs ein Haarschnitt fast immer mehr als bloß ein Haarschnitt. Mit der Zeit haben die Touristen diese Toleranz und die ungezwungene, vorurteilsfreie Art der Annäherung an das andere Geschlecht, wie sie sich bei vielen Asiaten findet, ausgenutzt, um Mädchen, die noch nicht einmal in der Pubertät sind, auf der Tanzfläche des Martini in Phnom Penh zu umarmen.
    Aber das ist eine andere Geschichte.
    *
    Während wir an den Animierbars der Rotlichtmeile Soi Cowboy entlangfahren, gesteht Masa, dass sie manchmal ein bisschen neidisch auf die jungen Frauen in den Massagehäusern ist, zumindest auf jene, die einen guten Chef haben, der sie nicht ausbeutet und ihnen nicht die Einnahmen stiehlt.
    »Sie verdienen in einer Stunde mehr Geld als ich an einem ganzen Tag im Taxi«, klagt sie.
    »Und deine Würde, Masa?«, frage ich zurück. Sie bedenkt die dumme Frage mit einem gebührenden Blick.
    |49| »Und wo bleibt die Würde, wenn man 14 Stunden in einem Taxi durch die Staus von Bangkok kriecht oder die Klos in den Bars des Rotlichtviertels wischt?«
    Masa ist für mich so etwas wie eine entfernte Verwandte geworden, die man dann und wann besucht. Wenn ich in Bangkok bin, holt sie mich mit ihrem Taxi ab, und wir fahren los, um irgendeine Reportage für die Zeitung zu machen. Ich finde es erstaunlich, dass sie an dem Tag, als sie von Zuhause auszog und sich vor die drei Optionen gestellt sah, die die Gesellschaft für sie bereithielt – einen weiteren nutzlosen Ehemann zu heiraten, Putzfrau zu werden oder in einem Massagesalon zu arbeiten –, beschloss, alle drei abzulehnen, sich hinter das Steuer ihres Lebens zu klemmen und ihre Kinder ohne fremde Hilfe allein durchzubringen. Ich weiß nicht mehr, wo ich ihr Taxi zum ersten Mal heranwinkte, aber ich erinnere mich noch, wie mir Masa auf jener ersten gemeinsamen Fahrt durch die Straßen Bangkoks in radebrechendem Englisch ihr Leben beichtete.
    Ich bin besessen von meinen Taxifahrern. Sobald ich einen gefunden habe, der mir zusagt, bitte ich ihn um seine Telefonnummer und schwöre ihm absolute Treue. Ohne dass ich es merkte, sind einige von ihnen Fahrt für Fahrt, Reise für Reise zu Freunden geworden. Es ist acht Jahre her seit der ersten Fahrt mit Masa, und da sind wir beide und reden darüber, wie übel es in ihrem Alter auf dem Heiratsmarkt aussieht – »Sie wollen mich nicht, weil ich mehr vom Leben weiß als sie«, erzählt sie. Wir reden darüber, was sie machen wird, wenn sie in den Ruhestand tritt. Wir kabbeln uns, ob sie noch näher auf den Wagen vor uns auffahren oder lieber größeren Abstand halten soll, ob sie diese Ampel, die für mich rot ist und für sie dunkelgrün, noch schaffen kann,

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