Kinder des Monsuns
Sorgen«, beruhigt sie mich, während sie auf den verstopften Straßen Bangkoks rasant Verkäufern frittierter Bananen und Tuk-Tuks, den allgegenwärtigen Motorradrikschas, ausweicht. »Wenn etwas Schlimmes passieren soll, wird es geschehen.«
»Willst du damit etwa sagen, dass es egal ist, ob wir alle Ampeln bei Rot nehmen, weil wir gar nicht verunglücken können, solange unsere Stunde noch nicht geschlagen hat?«
»Er steht uns bei«, erwidert Masa und zeigt auf den Aufkleber mit dem Bild von Luang Por Opasi an der Frontscheibe, einem Schutzmönch des Tempels Arsrom Bang Mod.
Vor einigen Jahren hatte Masa einen Autounfall. Ihr Wagen geriet ins Schleudern und prallte gegen eine Mauer im Stadtzentrum. Von dem Fahrzeug blieb nichts übrig, sie selbst bekam nicht mehr ab als ein paar Kratzer und ein gebrochenes Bein. Ein Freund hatte ihr einige Tage zuvor den Aufkleber des Mönchs Opasi geschenkt.
»Nach dem Unfall war der Aufkleber des Mönchs verschwunden«, erzählt Masa. »Er hatte seine Aufgabe erfüllt: Er hatte mir das Leben gerettet. Deshalb nehme ich heute zwei Mönche statt einen mit, so weiß ich, dass wenigstens einer wach ist, wenn ich fahre.«
|46| Masa war die erste Taxifahrerin Thailands. Noch immer bewahrt sie die Ausschnitte aus den Zeitungen Bangkoks mit der Nachricht und einem Foto auf, auf dem sie zwanzig Jahre jünger aussieht. Diese Berufswahl war nicht ganz freiwillig. Masa war vor einem Ehemann geflohen, der sie misshandelte und sich, wenn er nicht gerade seine Wut an ihr ausließ, den Tag über in den Massagesalons von Bangkok suhlte. Sie brauchte keinen Privatdetektiv und musste nicht erst nach Lippenstift auf seinen Hemden suchen, um sicher zu sein, dass er sie betrog. »Ich merkte es daran, dass er nachts sauberer nach Hause kam, als er morgens weggegangen war. Fünf Minuten, nachdem er nach Hause gekommen war, roch das Wohnzimmer nach Badesalzen und Duftseifen. Es hätte mich nicht gestört, wenn er es jetzt getan hätte, wo ich über fünzig bin, aber damals sah ich noch einigermaßen passabel aus. Warum musste er sich mit anderen herumtreiben?«
Masa schnappte sich ihre beiden Kinder und zog aus. Sie nahm fast jede Arbeit an, von Kellnerin bis Putzfrau, bis sie in der Zeitung eine für die damalige Zeit ungewöhnliche Anzeige des Hotels Novotel las: »Sieben Damen als Fahrerinnen für Limousinen gesucht.« Wenn es etwas gab, was Masa konnte, dann war es Autofahren. Schon als Mädchen hatte sie von ihrem Vater, einem Polizisten in Bangkok, gelernt, wie man Verkäufer von frittierten Bananen und Tuk-Tuks umkurvt. Die Nachbarn regten sich darüber auf, dass diese zwölfjährige Göre die Sonntage am Steuer des einzigen Polizeiautos des Viertels verbrachte, doch sie hatten niemanden, bei dem sie sich darüber beschweren konnten. Neben ihr auf dem Beifahrersitz saß der einzige mit der Einhaltung der Verkehrsregeln betraute Polizeibeamte im Umkreis von etlichen Kilometern.
Masa war die einzige Frau, die auf die Anzeige der Zeitung reagierte, und natürlich wurde sie genommen. Von da an übte sie all ihre Jobs hinter dem Steuer aus, arbeitete für Autovermietungen und verschiedene Hotels, deren Gäste sie zum Flughafen chauffierte, bis sie schließlich ihr eigener Chef wurde. Oder beinahe. Sie verschuldete sich bis über beide Ohren und kaufte ein gebrauchtes |47| Taxi, eben jenes, in dem wir nun in Höchstgeschwindigkeit durch Bangkok rasen. Das Gefährt sieht so aus, als stünde es kurz davor, in der nächstbesten Schmuddelgasse seinen Geist aufzugeben, nicht nur wegen seines betagten Alters, sondern wegen seines unfallträchtigen Lebens mit verschiedenen Großreparaturen, Ausbeulungen und all den Gebrechen, die anderthalb Millionen Kilometer auf dem Tacho mit sich bringen. Oder sind es zwei Millionen? Der Kilometerzähler funktioniert schon lange nicht mehr.
Wir kreuzen durch die Straßen Bangkoks, vorbei an den Neonleuchten der Bars und Massagesalons. Wie alle Taxifahrer hat Masa Kataloge mit den Fotos von Bordellmädchen dabei. Normalerweise bezahlen die Animierlokale die Taxifahrer mit einer Gratismassage im Monat für solche Kundenwerbung, doch da Masa eine Frau ist, bekommt sie ein Trinkgeld. Mit den Jahren ist ihre Scham nicht geringer geworden, die männlichen Kunden, die in ihren alten Toyota steigen, zu fragen, ob sie ein bisschen Spaß haben wollen, sie kenne da das beste Lokal, sauber und mit anständigen Preisen, und keine Angst, der Eigentümer ist absolut diskret und
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