Kinder des Monsuns
Verkehr gezogen werden. Das letzte Taxi, das Masa aus zweiter Hand kaufte, war schon dreißig Jahre alt. Jahr für Jahr hat sie die Schulden abbezahlt, die sie dafür aufnehmen musste, ist für die Lizenz, die Reparaturen und die Bereinigung jener »kleinen Unfälle« aufgekommen, bei denen der gute Opasi immer ihr Leben rettet. Jetzt, wo sie kurz davorsteht, alles zu begleichen und Geld für sich selbst zu verdienen, jetzt, wo sie wirklich ihre »eigene Chefin« werden könnte, sagen ihr die Behörden, dass ihr Taxi aus dem Verkehr gezogen werden muss.
Die Regelung ist gut für die großen Taxiunternehmen, die sich ihres alten Fuhrparks entledigen und die Autos als Gebrauchtwagen abstoßen können, um dann neue zu erwerben und sie an Menschen wie Masa zu vermieten, die sich nie selbst einen Neuwagen leisten könnten. Der größte Profiteur der Klüngelwirtschaft |68| mit Taxikonzessionen ist ein reicher Bursche, der sich in der Limousine durch Bangkok chauffieren lässt und in seinem Büro sitzt oder Golf spielt, während die Armen aus den Provinzen dank der Konzessionen, die ihm seine Freunde in der Regierung zugeschanzt haben, die Taschen füllen.
»Sie wollen keine alten Autos ohne Klimaanlage auf der Straße«, erklärt mir Masa. »Aber das ist nicht fair. Ich habe hart gearbeitet, um dieses Taxi zu besitzen, und in dem Moment, wo ich es schaffe, sagt man mir, ich soll ein anderes kaufen. Von welchem Geld?«
»Was wirst du machen?«, frage ich.
»Na ja, um in den Massagesalons zu arbeiten, bin ich nicht mehr im richtigen Alter, oder?« Sie lacht. »Ich brauche Geld, daher werde ich wohl wieder für irgendein Hotel arbeiten und einen Chef ertragen müssen, der mir sagt, was ich zu tun habe.«
Das Leben kann nie hart genug sein, um jemanden wie sie umzuwerfen, denke ich, während wir uns durch die von Neonlicht erleuchteten Straßen Bangkoks voranquälen und sich auch mein letzter Stau mit Masa dem Ende neigt. Gerade ihre Willenskraft und ihr Mut beweisen, dass nichts, was uns auf der anderen Seite der Ampel erwartet, die wir bei rot oder dunkelgrün überqueren, im Vorhinein geschrieben steht. Denn wenn es so wäre, Masa, würdest du noch immer bei dem Ehemann leben, der dich nicht verdiente, und nicht die letzten Kilometer eines Taxis verfahren, das vielleicht nie ganz dein Eigen war, es dir aber erlaubt hat, dich hinter das Lenkrad deines eigenen Lebens zu setzen.
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|71| Kapitel 3
Reneboy – Leben im »Gelobten Land«
|73| D er Zug fährt durch das Viertel San Antonio, unpünktlich und tückisch, nie kündigt er seine Ankunft an, nie bremst er und ab. Wenn sich seine Umrisse in der Ferne abzeichnen, schreit jemand »Zuuuuuug!« Die Frauen hören auf, die Wäsche auf den Geleisen auszuschlagen, die Männer ziehen ein letztes Mal an ihrer Zigarette und die Kinder unterbrechen ihr Spiel, um den Weg freizumachen. Ab und zu weicht ein Alter, ein Kind, ein Betrunkener nicht rechtzeitig aus, dann müssen sie die Glieder des Verunglückten aufklauben und zusammensetzen wie ein Puzzle, legen sie in eine Kiste aus alten Brettern und bereiten die Beerdigung vor. Alle haben einen Angehörigen oder Freund, der vom Zug getötet wurde. Jose wurde überfahren, als er an einem der Stände entlang der Schienen Tabak kaufen wollte; den kleinen sechsjährigen Raymond erwischte es, als er seinem Basketball hinterherrannte; und den schon betagten Marco teilte der Zug in zwei Stücke, als er in der Nähe seiner Haustür mit ausgestreckten Beinen eingeschlafen war.
So ist das Leben in San Antonio: Man lebt und man stirbt auf der Straße.
Gewährt hier ein Wohnviertel der Bahn ein Durchfahrtsrecht, oder ist das Viertel ein bloßes Verkehrshindernis, das der Bahn im Wege steht? Darüber werden sich Anwohner und Stadtbehörden nicht einig.
|74| Ganz in der Nähe von San Antonio, im Finanzdistrikt Makati, gibt es einen Unterbezirk, der nach Geld benannt ist: Forbes Park. Seine Einwohner leben in einer Festung des Überflusses, die durch 10 Meter hohe, mit Stacheldraht bewehrte und von bewaffneten Wachen gesicherte Mauern vor der Armut geschützt wird. Die Einwohner von Forbes Park wissen nicht, dass in Manila wochenlang der Müll nicht abgeholt wird, sie können auf pünktlich eintreffende, leise Müllwagen zählen. Die Straßen des Viertels sind von Grünflächen gesäumt, auf denen man Golf spielen könnte. In Forbes weiß man auch nichts vom äußerst ärmlichen Zustand des öffentlichen
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