Kinder des Monsuns
gut bei ihr zu Hause. Ihre Tochter hat sich von ihrem Mann getrennt. Auch der war sauberer nach Hause gekommen, als er am Morgen weggegangen war, und hatte den Geruch von Badesalz in der Wohnung verbreitet. Masa lebt jetzt mit ihrer Tochter, ihrer Enkelin und ihrem Sohn, der gerade zwanzig geworden ist, in einem winzigen Haus am Bangkoker Stadtrand. Als Masa mit dem Taxifahren anfing, war sie gerade getrennt und schwanger, und so verbrachte sie einen Großteil ihrer Schwangerschaft im Taxi. Die Fahrgäste konnten nicht glauben, was sie sahen: eine Frau am Steuer eines Taxis, auf diesen reparaturbedürftigen Schlaglochpisten, und dann auch noch kurz vor der Entbindung. Masa legte in diesen neun Monaten Schwangerschaft so lange Wege zurück, dass sie ihrem Sohn den Spitznamen Miles (Meilen) gab.
»Ich mache mir Sorgen um Miles«, erzählte sie mir auf der Fahrt ins Stadtzentrum. »Der Junge schlägt sich. Neulich wurde er von einer Bande angegriffen, die ihm das Handy abgenommen hat. Ich hab Angst, dass sie ihm was antun. Ich glaube, ich schicke ihn in ein Kloster. Ich muss mit dem Abt des Tempels in unserer Nähe |66| sprechen, damit sie ihn ein paar Monate bei sich aufnehmen. Vielleicht kommt er dort zur Ruhe.«
Ich äußere mich skeptisch: Wäre der Tempel wirklich die beste Lösung für Miles’ Probleme? Ich glaube, sie schielte in diesem Moment wieder zu ihrem Schutzmönch Opasi und raunte ihm ein Stoßgebet zu: »Verzeih diesem
farang
, es gibt Dinge, die er niemals begreifen wird.«
Masa glaubt, dass der Buddhismus Miles retten wird, so wie er sie damals bei ihrem Unfall im Stadtzentrum rettete. Das Problem der Jugend von heute besteht ihrer Meinung nach darin, dass sie alles will und sich mit nichts zufrieden gibt. Sie träume allein vom Heute, und wehe, man vertröste sie auf morgen – morgen, das sei ihr zu spät. Aus Sicht des Buddhismus ist sie unfähig, ihre materiellen Begierden zu zügeln, daher hat sie ihre Freiheit verloren. Buddha verhieß seinen Jüngern keine Erlösung im Himmel, aber ein Ende ihres Leidens auf Erden, wenn es ihnen gelänge, ihre Begierden zu beherrschen. Doch den neuen Generationen scheint das nicht so gut zu gelingen wie den älteren. Thailand hat in den letzten Jahren rasche Fortschritte gemacht; die Erwartungen seiner Menschen sind noch schneller gewachsen.
Masa hat alle Veränderungen der letzten beiden Jahrzehnte vom Fahrersitz ihres Taxis aus miterlebt. Sie sah, wie überall neue Einkaufszentren, Hotels und Wohnblocks ihre Welt veränderten, wie sich die Menschen auf der Straße anders kleideten und die ländlichen Sitten mit großstädtischen tauschten, wie die Essenstände modischen Restaurants Platz machten und die Terrassenlokale Diskotheken wichen. Und all dies betrachtete sie wie ein Schicksalsrad, dem sie nicht in die Speichen greifen konnte. Wenn Masa durch die Straßen Bangkoks rast, glaubt sie nicht, dass ihr Schicksal von ihren Fahrkünsten oder ihrer Besonnenheit abhängt, sondern dass alles bereits niedergeschrieben ist (»Wenn etwas Schlimmes passieren soll, wird es geschehen.«). Vielleicht wartet das Ende an der nächsten Kreuzung, das Ticket für ein besseres, das nächste |67| Leben, und in diesem Fall gibt es nichts, was sie tun könnte, um den Kreislauf des Lebens zu ändern.
Der Glaube daran, dass alles vorherbestimmt sei, ist kein schlechter Weg, um in einer Stadt, die für Taxifahrer eine der härtesten der Welt ist, einen langen Tag hinter dem Steuer durchzuhalten. Das Einkommen ist schlecht, die Konkurrenz groß, und erst die Staus! Die Regierung hat in den letzten Jahren in eine Hochbahn und eine U-Bahn investiert, doch viele Menschen benutzen weiter das Auto – die einen, weil der öffentliche Nahverkehr sie nicht direkt vors Haus bringt, die anderen, weil sie zwanzig Jahre darauf gespart haben. Und jetzt will man ihnen weismachen, dass es besser sei, den Zug zu nehmen? Davon wollen sie nichts hören.
»Der Verkehr«, so lautet Masas stete Klage, »ist unmöglich.« Und trotzdem ist sie hier und fühlt sich wohl in dem Stau, in dem wir stecken, ja sie genießt ihn geradezu, denn es könnte sehr wohl ihr letzter sein. Zu den Problemen mit ihrer Familie ist die drohende Pensionierung gekommen. Sie selbst hat noch Kraft, und der alte Toyota könnte noch einige Zeit durchhalten. Das Problem sind die Gesetze, die nie mit Rücksicht auf die kleinen Leute gemacht werden. Laut Straßenverkehrsordnung muss ein Taxi nach zwölf Jahren Dienst aus dem
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