Kinder des Monsuns
Gesundheitswesens, weil sich die Herren die Zysten in Hongkong operieren und die Damen ihre Falten in Bangkok liften lassen. In Forbes Park gibt es Leute, die nicht einmal wissen, wie schlecht der Verkehr in letzter Zeit läuft. Die Reichsten der Reichen, jene, die in noch luxuriöseren Häusern leben und ein noch betäubteres Gewissen haben, jene Familien, die sich nie die Frage gestellt haben, woher ihr Glück kommt, ob sie es sich verdient oder vielleicht geschenkt bekommen haben, bewegen sich in Hubschraubern von einem Ort zum anderen und landen auf den Flachdächern von Gebäuden, die ihnen wenn nicht jetzt, dann bald gehören werden. Sie leben in der Schwebe, ohne mit dem menschlichen Dschungel unter ihnen in Berührung kommen zu müssen. Das Chaos der unteren Schichten – ach, die Ärmsten! –, es erscheint aus so luftiger Höhe so völlig belanglos.
So ist Manila: eine brutale Mischung aus San Antonio und Forbes Park.
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Im Hongkonger Korrespondentenbüro von
El Mundo
trifft eine Eilmeldung ein: »Mülllawine tötet 200 Menschen auf den Philippinen.« Das Telex verrät noch mehr: Die Regierung gibt die Schuld an der Tragödie dem Monsunregen, der im Bezirk Payatas die Fundamente eines riesigen, 30 Meter hohen Abfallberges aufgeweicht |75| habe. Dort, um die größte Mülldeponie des Landes herum, wohnen über 80 000 Menschen. Das Problem war nicht, dass all diese Menschen neben der Müllhalde wohnen mussten, weil sie keinen anderen Ort zum Leben hatten, nein, es bestand schlicht darin, dass es zu viel geregnet hatte.
Augenzeugen berichten, dass mitten in der Nacht ein großes Krachen zu hören war, und als sie aufstanden, um nachzuschauen, sahen sie, dass der große Berg auseinandergebrochen und abgerutscht war. 300 Hütten zu seinen Füßen wurden unter einer Lawine aus Unrat begraben. Die Schreie der Eingeschlossen verstummten nach und nach, einer nach dem anderen, und bei den ersten Sonnenstrahlen war nichts mehr zu hören. Väter versuchten, zu ihren Kindern vorzudringen, Kinder suchten ihre Mütter, doch zwischen ihnen und ihren Lieben befand sich eine unüberwindliche Mauer aus Abfall.
Die Anwohner nennen den Ort der Tragödie
Lupang Pangako
, »Gelobtes Land«. Leben all diese Menschen auf der Deponie, oder ist es die Deponie, die in den Lebensraum dieser Menschen eingedrungen ist? Darüber sind sich Behörden und Anwohner nie einig geworden. Payatas war Anfang der siebziger Jahre ein so unbekannter und von Manila weit entfernter Flecken, dass ihn die Elite des Landes nicht für sich beanspruchte. Die Regierung beschloss, ihn zum Abort der großen Stadt zu machen und hier 23,3 Hektar Land als Mülldeponie auszuweisen. Als die Entwicklung Manilas die Kommunalbehörden »zwang«, die Bewohner von Elendsquartieren umzusiedeln, um Platz für neue Einkaufszentren, Apartmentblöcke und Straßen zu schaffen, löste man das Problem, indem man sie dahin deportierte, wo sie niemanden belästigten: zur Mülldeponie. Die Gegend füllte sich mit Opfern von Zwangsräumungen, Armen und Schutzlosen. Boden, der von niemand beansprucht wird, ist immer eine Seltenheit in einem Land, in dem etwa 100 Familien die Hälfte des Grundeigentums, zwei Drittel der Börse und die ganze politische Macht unter sich aufteilen, damit sich nichts verändert. Das Gelobte |76| Land, auch wenn es inmitten des Unrats liegt, ist ein solch seltener Flecken.
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Ich mache mich nach Manila auf, um über die Tragödie zu berichten, und rufe vom Hongkonger Flughafen aus Raymond an. Auch der spindeldürre Raymond mit seiner stets heiseren Stimme stammt aus einem Elendsviertel Manilas. Er lernte ausreichend gut Englisch, um Laufbursche im Büro der singarpurischen Zeitung
The Strait Times
zu werden. Wenn ich nach Manila fliege, heuere ich ihn als Übersetzer an, und er steckt alles Geld, was er damit verdient, in seine Sparbüchse, bis er genug beisammen hat, um, wie er versichert, das Geschäft seines Lebens zu machen: Er will etliche gebrauchte Computer kaufen, um im Wohnzimmer seines strategisch günstig vor einer Schule gelegenen Hauses eine Videospielhalle aufzumachen. Diese geschäftlichen Aussichten stimmen ihn hoffnungsfroh – seine Frau kocht vor Wut.
»Wundert dich das etwa?«, frage ich Raymond. »Das Unglaubliche ist doch, dass sie dich nach diesem Vorschlag überhaupt noch ins Haus lässt.«
»Wo es doch aber gar nicht schiefgehen kann«, wendet er ein und unterbreitet mir Details von Investitionskosten und Erlösen. »Mit
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