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Kinder des Monsuns

Kinder des Monsuns

Titel: Kinder des Monsuns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Jimenez
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an einen anderen Ort weit weg von hier tragen lassen. In der Zwischenzeit träumt Reneboy davon, auf der Deponie reihenweise unwahrscheinliche und faszinierende Funde zu machen: Hausschuhe, ein ferngesteuertes Auto oder Lebensmittel, vor allem Lebensmittel.
    Immer wieder finden die Bewohner des Gelobten Landes die von Kugeln durchsiebte Leiche eines Banditen, mit dem jemand im Stadtteil Tondo eine Rechnung zu begleichen hatte. Sie entdecken auch die sterblichen Überreste junger Vergewaltigungsopfer, denen sie sich nähern und die sie sogar berühren müssen, um festzustellen, ob es sich nicht um Schaufensterpuppen aus einem der großen Kaufhäuser von Makati handelt. Sie stoßen auf abgetriebene Föten der Prostituierten von Malate und der Töchter der Elite, Föten, die hier, im Gelobten Land, ihren Klassenunterschied verloren haben.
    Niemand spricht über diese Funde, alle möchten von den wertvollen Dingen erzählen, die sich in den Müllhalden verbergen. »Einmal habe ich einen goldenen Ohrring gefunden«, erinnert sich Reneboy mit leuchtenden Augen, als durchlebte er den Augenblick erneut. »Er ist an meinem Haken hängen geblieben, und ich bin schnell weggelaufen, damit die anderen ihn nicht sehen und ihn mir nicht wegnehmen. Ich habe ihn zu einem Pfandleiher gebracht. Nie habe ich so viel Geld auf einem Haufen gesehen. Mein Vater und ich sind Zement kaufen gegangen, so viel wir tragen |86| konnten. Mein Vater war sehr froh. Er hat gesagt: ›Gut gemacht, Reneboy.‹«
    Der Pfandleiher hatte Reneboy etwa 20 Dollar für seinen Fund gegeben. Am folgenden Tag versammelte sich die Familie vor der Hütte aus vier Bretterwänden und wohnte dem großen Ereignis der Zementierung des Eingangs bei. Als die Arbeit vollbracht war, sagte Edelberto, dass die Hütte jetzt wie ein richtiges Haus aussähe, vielleicht nicht genug, um den vor langer Zeit gestorbenen und begrabenen Traum wiederauferstehen zu lassen, wohl aber, um zu glauben, dass Gott sie nicht vergessen hatte. Am folgenden Tag gingen sie zur Kirche, um ihm dafür zu danken.
    Auf den Philippinen gibt es an jeder Ecke eine Kirche und ein Schnellrestaurant, ein Erbe, das sich 300 Jahren Klosterleben und fünfzig Jahren Hollywood verdankt, wie die Filipinos in Anspielung auf die spanische und amerikanische Kolonialherrschaft, die ihre Identität so durcheinandergewirbelt hat, gerne sagen. Kaum waren sie dort angekommen, hatten die ersten Bewohner des Gelobten Landes schon ihre eigene Kirchengemeinde gegründet. Wenn sie zur Kirche gehen, trägt die Familie Chale ihre beste Garderobe. Fe putzt die Schuhe blank, die sie auf der Müllhalde gefunden hat, flickt das Jackett ihres Ehemannes und parfümiert die Kinder mit den letzten Tropfen Eau de Cologne aus einem Fläschchen, das eine Madame aus Manila weggeworfen hat, bevor es völlig aufgebraucht war. Nur der Einbildungskraft Fes gelingt es, unter dem Fäulnisgestank des Gelobten Landes an ihren Kindern den Duft von Basilikum herauszuriechen. Sie braucht die Kirche, um den Pfarrer sagen zu hören, dass im späteren Leben etwas Besseres auf sie wartet. Nur so erträgt sie ihre Existenz auf dem Müllberg. Sie lebt, ohne zu leben, ständig in der Sorge, dass ihre Kinder krank werden vom Einatmen der giftigen Gase, die aus den Abfallhalden aufsteigen und sie ganz betrunken machen.
    »Wir müssen hier weggehen«, mahnt sie Edelberto ab und zu.
    »Weggehen? Wohin?«, fragt er. »Wir haben nichts, hier haben wir wenigstens eine Hütte und zu essen.«
    |87| »Du hast doch gesehen, was mit anderen Kindern passiert, einige sind an Krankheiten gestorben. Viele kommen mit Problemen auf die Welt. Und jetzt dieses Unglück. Jeden Tag kann es einen neuen Erdrutsch geben und uns hier begraben.«
    »Vielleicht im nächsten Jahr, wenn wir etwas Geld haben«, erwidert Edelberto und lässt Fe die Hoffnung, dass sie ihre Tage nicht im Gelobten Land beschließen wird.
    *
    Die ersten Bilder von Kindern, die auf den Mülldeponien Manilas im Abfall wühlten, gingen in den achtziger Jahren um die Welt. Sie boten einen heftigen Kontrast zum Luxusleben der Marcos’, des berühmtesten, extravagantesten und korruptesten Diktatorenehepaares der damaligen Zeit. Ferdinand Marcos war der verheißungsvollste Offizier der philippinischen Armee, Imelda Romualdez die Gewinnerin verschiedener Schönheitswettbewerbe. Sie lernten sich kennen, verliebten sich und bemerkten, dass sie vieles gemein hatten: Keiner von beiden brachte es über sich, sich zwischen

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