Kinder des Monsuns
auf der Uni alle träumen. Der Film ist vor allem darin treffend, dass Journalisten wirklich viele Stunden damit zubringen, an Hotel-Swimmingpools über ihre Erlebnisse zu schwadronieren und nur selten größeres Interesse für die Menschen aufbringen, über die sie schreiben, als für die Anzahl der Spalten, die ihr Bericht in der morgigen Ausgabe bekommt. »Dein ist das Wort und mein sind die Bilder. Glaub mir, ich kann dein Auge sein«, verheißt Billy dem Journalisten Hamilton zu Beginn des Films. Ace kümmert sich darum, dass wir durch alle Kontrollen kommen, übersetzt für mich aus dem Indonesischen und |110| entwickelt meine Fotos. Ich lade ihn im Gegenzug zum Abendessen ins libanesische Restaurant Meridien ein, das in ihm Erinnerungen an das Mittelmeer wachruft.
*
Die Studenten im Hörsaal begrüßen uns überschwänglich: »
wartawan
! wartawan
!«, rufen sie (»Ein Jounalist! Ein Jounalist!«).
Sie führen mich zu Teddy Mardani und schlagen das weiße Laken zurück, das seinen Leichnam bedeckt. Sie zeigen mir die Schusswunde und fragen, ob ich ein Foto machen will. Ich bin einverstanden, und alle atmen erleichtert auf, als der Beweis für ihre ungleiche Auseinandersetzung mit den Sicherheitskräften im Bild festgehalten ist. Am nächsten Tag wird meine Zeitung das Foto mit der Bildunterschrift bringen, dass die Armee auf unbewaffnete Studenten schießt. Teddy hat der Sache bis zum Schluss gedient, sogar darüber hinaus. Nun kann er begraben werden.
Die Freunde des toten Studenten rufen schließlich seine Eltern an und teilen ihnen mit, dass ihr Sohn von einer Kugel der Armee getroffen wurde und auf der Stelle tot war. Auf der anderen Seite der Leitung herrscht Stille. Als er vor die sterblichen Überreste seines Sohnes tritt, zeigt Herr Samsudin keine Rührung, vergießt keine einzige Träne und fragt nicht, wer dafür verantwortlich ist. Er schwört auch keine Rache. Er bleibt ruhig vor dem Leichnam stehen, schließt die Augen einige Sekunden und sagt: »Es war Gottes Wille.«
Die Beerdigung von Teddy Mardani findet am 15. November 1998 statt, zwei Tage nach seinem Tod. Auf dem Karet-Friedhof in Jakarta finden sich seine Eltern, Edi und Maria Samsudin, seine drei Schwestern Rifa, Lin und Yuli, der Rektor und die Professoren von Teddys Fakultät und zirka 3 000 Studenten ein, gehüllt in die Farben verschiedener indonesischer Universitäten. Die besten Freunde Teddys werfen Blütenblätter auf sein Grab. Als sich die Totengräber anschicken, ihr Werk zu beenden, zerreißt das Schluchzen |111| Maria Samsudins die Friedhofsstille. Ihre Töchter müssen sie zurückhalten, damit sie sich nicht in die Grube neben ihren Sohn wirft.
Die Studenten warten reglos, bis sich die Familie Samsudin zurückgezogen hat, um sich auf ihre Weise von ihrem gefallenen Kommilitonen zu verabschieden. Sie sind nicht nur gekommen, um Teddy Adieu zu sagen: Sie sind hier, um zu demonstrieren, dass ihre Sache ohne ihn weiterlebt, ganz gleich, auf wie viele Beerdigungen sie gehen, von wie vielen Kommilitonen sie sich verabschieden müssen: Niemandem wird es gelingen, ihre gerechte Sache zu beerdigen. Ein Student ruft den Beistand herbei, der ihnen nach Ansicht einiger fehlt, seine Stimme gedämpft vom Anblick der untröstlichen Mutter, die sehr gut seine eigene hätte sein können: »
Allahu Akbar
« (»Gott ist groß«).
»
Allahu Akbar
«, wiederholen alle im Chor.
*
Erst vor einigen Monaten haben die Studenten von Jakarta etwas Undenkbares zuwege gebracht. Nach wochenlangen Protesten besetzten sie das Nationalparlament und zwangen General Suharto durch eine aus den Hörsälen heraus organisierten Revolution zum Rücktritt – der Diktator, der die Indonesier drei Jahrzehnte lang unterjocht hatte, der Befehlshaber der größten Armee Südostasiens, gedemütigt von ein paar idealistischen jungen Leuten mit strubbeligen Haaren. Die Studenten sind unter der Diktatur zur Welt gekommen, sie kannten nichts anderes, und ohne Zweifel haben sie nicht so sehr unter ihr gelitten wie ihre Eltern. Es überrascht daher, mit welcher Selbstverständlichkeit sie ihr Leben für die Demokratie aufs Spiel setzen, eine Demokratie, die sie gar nicht kennen und daher schwerlich vermissen können.
So ist es fast immer. Junge Studenten, die ihr Leben noch vor sich haben, wischen die Besorgnisse der Älteren beiseite und versuchen, die Tyranneien ihrer unterjochten Länder zu stürzen. |112| Gelegentlich, wie 1989, als die Pekinger Diktatoren Panzer
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