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Kinder des Monsuns

Kinder des Monsuns

Titel: Kinder des Monsuns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Jimenez
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auf den Platz des Himmlischen Friedens schickten, oder im August 1998 und September 2007, als die birmanischen Generäle die demokratischen Proteste in Rangun gewaltsam erstickten, sind die Opfer besonders schmerzlich. Trotz der mutigen Anstrengungen und des Verlusts vieler Menschenleben gelang es in diesen Fällen nicht, einen Wechsel herbeizuführen, die Diktatoren blieben am Ruder. Dann braucht es mehrere Generationen, bis die Erinnerung an die Brutalität verblasst, die Angst überwunden ist und andere Studenten auf die Straßen gehen.
    Die indonesischen Studenten befürchten, dass auch ihre Revolution vergebens war. Suharto ist zwar gestürzt, doch sein Regime ist noch an der Macht. Der neue Präsident, der den demokratischen Übergang vollenden soll, ist seine rechte Hand Jusuf Habibie. Der Chef der Streitkräfte und Verantwortliche für den Tod der Studenten, General Wiranto, bleibt auf seinem Posten. Die Wirtschaftselite, die das Land ausgeplündert hat, behält ihre Privilegien, und Suharto hat sich darauf beschränkt, sich in sein Haus in Jakarta zurückzuziehen. Es handelt sich um eine jener goldenen Pensionierungen, wie sie gewöhnlich Potentaten einstreichen, die einst den Interessen des Westens dienten, Leute, die der Menschenrechtsaktivist Reed Brody einmal mit einer einfachen mathematischen Gleichung charakterisierte: Wenn du einen Menschen ermordest, kommst du ins Gefängnis; wenn du zwanzig umbringst, steckt man dich ins Irrenhaus; aber wenn du 20 000 tötest, gibt man dir politisches Asyl. Wenn du noch dazu, wie der »lächelnde General«, Milliarden von Dollars raubst, die Reichtümer des Landes unter deinen Söhnen aufteilst und ein Land wie Osttimor überfällst und dem Erdboden gleichmachst, kannst du dich mit all diesen Verdiensten zur Ruhe setzen und dein Vermögen in Frieden auskosten. Niemand wird dich behelligen.
    Teddy Mardani und seine Kommilitonen fühlen sich betrogen und beschließen, die Demonstrationen fortzusetzen. In einem alten Seminarraum der Universität Atma Jaya gründen sie die |113| »Zentraleinheit«, wie sie es nennen: ein Computer, ein Radio, ein Telefon, Lebensmittel und Pläne für die Koordination der Proteste. Die Beratende Volksversammlung, ein Parlament aus Militärs und Mitgliedern des alten Regimes, plant eine Sitzung, um nach dem Fall des Generals den Weg zur Demokratie festzulegen. Eine der Entscheidungen, die sie fällen will, besteht jedoch darin, die permanenten Sitze der Armee in der Volksversammlung beizubehalten, durch die sie ihren beherrschenden Einfluss auf die Politik sichert. Die Studenten malen abermals Plakate, mieten mit gesammeltem Geld Busse und beschließen, auf das Parlament zu marschieren, um die völlige Abwicklung des alten Regimes, das nicht sterben will, zu verlangen, den Rückzug des Militärs aus der Politik und einen Prozess gegen General Suharto. Doch auf der Semanggi-Brücke wird die Straße gesperrt, und bei Einbruch der Nacht beginnt die Luft, nach Pfeffer und Knoblauch zu riechen.
    *
    Vielleicht kann man sich in ein Land verlieben wie in einen Menschen. Man erblickt Vorzüge in ihm, die man aus irgendeinem Grund in anderen nicht sieht. Man baut eine besondere Beziehung zu ihm auf, ist von seinem Charakter angetan, nachdem man es mit einer besonderen Intensität erlebt hat. Solche Länder nutzen die Verzückung aus, in die man bei ihrem Besuch gerät, um zu erreichen, dass man ihre Fehler übersieht, während einem ihre Tugenden allenthalben vor Augen treten. Es sind Orte, an die man schon zurückkehren will, bevor man sie verlassen hat.
    Ein solches Land ist für mich Indonesien. Wenn ich nach Indonesien komme, weiß ich, dass ich mich an keinem anderen Ort der Welt befinden kann, man könnte mich mit verbundenen Augen auf einem seiner Flughäfen oder in jeder beliebigen Stadt absetzen, ich wüsste, wo ich mich befinde, allein schon aufgrund des süßlich-würzigen Duftes der Nelkenzigaretten und Frangipani. Indonesien hat eine okkulte und primitive Seite, die seine Menschen |114| undurchschaubar macht, eine Seite, die mich verwirrt und, zuweilen, begeistert. Dem Besten und Schlechtesten im Menschen begegnet man in Indonesien häufig in Rohform, im Gegensatz zu anderen Orten, wo Tugenden und Fehler gleichzeitig präsent, von der Zeit geschminkt, von der Konvention geschliffen sind.
    In Indonesien wurde ich Zeuge der rohesten Gewalt – die Enthauptungen der Madureser auf Borneo, der Todeskampf eines von der Menge zu Tode

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