Kinder des Monsuns
das Geld für die Universität zusammenbekommen, hätte er vielleicht nicht unter dem Dach einer Kaserne mit Vollverpflegung Zuflucht suchen müssen. Wenn Teddy Mardani dem Wunsch seines Vaters gefolgt wäre, in Uniform zum Mann zu werden, stünde er jetzt in den Reihen, die das Parlament verteidigen, auf der Seite der Soldaten.
Als es dunkel wird, sind die Sicherheitskräfte müde. Die Schilde, die Schutzkleidung und die Waffen wiegen schwer. Die Kommandeure haben nicht zu Abend gegessen und werden zu fortgeschrittener Stunde zunehmend gereizter. Ein Offizier mit Militärmütze und Orden auf der Brust greift sich ein Megafon und sagt: »Wer nicht Mitglied der bewaffneten Kräfte ist oder zur Presse gehört, hat diesen Ort sofort zu räumen. Ich wiederhole, wer nicht Mitglied der bewaffneten Kräfte…«
»Haltet die Stellung«, tönt es aus den Reihen der Studenten.
Als das letzte Ultimatum verstrichen ist, regnet es Tränengas. Die Luft von Jakarta schmeckt nach Pfeffer und Knoblauch. Es ist ein Geschmack, der mir bekannt ist. In der Nacht, als ich in mein |108| Zimmer im Hotel Le Meridien zurückkehre, um die Chronik der Demonstrationen zu schreiben, schleicht sich das Gas durch ein schlecht geschlossenes Fenster in mein Zimmer, während ich beobachte, wie sich Polizisten und Studenten auf der Jenderal-Sudirman-Straße verfolgen. Mir tränen die Augen, auf meinem Computerbildschirm verschwimmen die Buchstaben, ständig muss ich meine Augen mit Wasser ausspülen.
Die Studenten haben ihre eigene Methode, um der Wirkung des Gases zu entgehen: Sie halten sich Taschentücher vor den Mund und schmieren sich Zahnpasta um die Augen, um das Brennen zu lindern. Sie singen: »Vorwärts ohne Tränen / Zur Verteidigung der Wahrheit / Vorwärts ohne Angst / Zur Verteidigung der Wahrheit…«
Wasserwerfer treffen ein und schießen mit ihren Kanonen auf die Studenten. Die purzeln um wie Dominosteine, nur um gleich wieder aufzustehen und den Marsch fortzusetzen. Sie singen: »… Vereint marschieren wir voran / Wir geben uns dir hin / O, Vaterland.«
Die Formation der Polizei bricht auf, ebenso wie die der Studenten, wenn es denn eine gegeben hatte. Einige Soldaten der letzten Verteidigungslinie, die Einzigen, denen Todesschüsse erlaubt sind, bringen sich in vorderster Linie in Stellung, knien nieder und richten ihre Gewehre auf die Feinde, die sie selbst sein könnten. Die Armee hat ihnen das Gegenteil eingeschärft. In der Kaserne hat man ihnen eingetrichtert, dass dort, wo nur unbewaffnete Studenten stehen, in Wirklichkeit gefährliche Staatsfeinde auf sie lauern. Wenn sie zielen, sehen sie keine Menschen, sondern Soldaten wie sich selbst vor sich. Sie sehen Feinde.
Man hört das dumpfe Knallen einiger Schüsse, die Menge stiebt in alle Richtungen auseinander. Einige Studenten fallen der Länge nach auf den Asphalt, die Büchertasche noch auf dem Rücken. Nur zaghaft ertönt noch der Ruf »
Reformasi
«, der sie diese ganzen Monate des Kampfes über begleitet hat, unterbrochen von Hilferufen inmitten des Chaos. Das letzte Mal, dass sie Teddy sahen, rannte er |109| wie alle anderen mit dem Rücken zu den Soldaten zwischen brennenden Reifen hindurch, verirrt in den Nebelrauchschwaden, das Gesicht mit der rotweißen Fahne der Republik Indonesien bemalt. Als die nächtliche Brise den Rauch fortbläst, sind die Studenten von ihren Positionen vertrieben und die Soldaten feiern lachend und tanzend ihren Sieg. Und Teddy? Hat jemand Teddy gesehen?
*
Ace und ich treffen in der Atma-Jaya-Universität ein ohne zu ahnen, dass wir die Lösung sind. Ace war noch zu General Francos Zeiten nach Spanien ausgewandert und hatte dort einige Jahre in einem chinesischen Restaurant an der Costa del Sol gearbeitet. Als er nach Indonesien zurückkehrte, fand er Arbeit in der spanischen Botschaft von Jakarta. Zusammen haben wir auf dem Rücken seines Mopeds die Demonstrationen begleitet – dank meines spanischen Ausweises kamen wir durch die Militärkontrollen – und sind den Studenten bei ihren Protesten durch die Hauptstadt gefolgt. Ace lacht, als ich ihm sage, dass man uns für Guy Hamilton (Mel Gibson) und Billy Kwan (Linda Hunt) in Peter Weirs Streifen
Ein Jahr in der Hölle
halten könnte, wenn er etwas hässlicher und ich etwas hübscher wäre. Journalisten gefällt Weirs Film, der auf den Ereignissen fußt, die zur Machtübernahme von General Suharto führten. Er verleiht dem Beruf einen abenteuerlichen und romantischen Glanz, von dem
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