Kinder des Monsuns
seinem Haus in Jakarta aus, wie das indonesische Puzzle in Tausend Teile zersplittert. Seit seinem Sturz von der Hand der Studenten metzeln sich die ethnischen Gruppen, die er vermischt hat, im Dschungel ab, Muslime und Christen massakrieren sich auf den Molukken, die Separatisten von Aceh und Westpapua erheben sich ein weiteres Mal und islamistische Terroristen jagen balinesische Diskotheken in die Luft. Das Land war jahrzehntelang ein vom Diktator verriegelter Druckkessel, der nach seinem Sturz unkontrollierbar zu bersten beginnt. Suharto wird all dies sicher genießen, ist er doch einer jener Tyrannen, denen es gelingt, in ihren Köpfen Gut und Böse in ihr Gegenteil zu verkehren, bis sie wie Nabelschnüre mit ihren persönlichen |119| Interessen vertäut sind. Sicher glaubt er, dass die Indonesier, sollte das Land völlig auseinanderfallen, den Jahren nachtrauern werden, in denen er es zusammenhielt, und ihn rufen werden, um die »Neue Ordnung« wiederherzustellen. Die Studenten mit ihren unermüdlichen Demonstrationen, auf denen sie an einem Tag sein Haus umzingeln und am nächsten durch die Straßen Jakartas ziehen, sind nicht willens, dies zuzulassen.
Es gibt jedoch ein Teil des Puzzles, dessen Verlust selbst den General schmerzt. Die Osthälfte der Insel Timor war bis 1974, als die letzten lusitanischen Schiffe ablegten, eine Kolonie Portugals. Suharto beschloss mit Erlaubnis und den Waffen der USA, sie kurz darauf zu besetzen, und im folgenden Vierteljahrhundert unterwarfen seine Truppen die Bevölkerung, ohne dass sich die Welt sonderlich darum bekümmert hätte oder die Osttimorer etwas dagegen hätten ausrichten können.
Nach dem Sturz Suhartos fügte sich die indonesische Regierung unter ihrem neuen Präsidenten Habibie im Sommer 1999 dem Druck der internationalen Gemeinschaft und schenkte den Menschenrechten stärkere Beachtung. Die Timorer durften in einer Volksbefragung darüber entscheiden, ob sie weiter zu Indonesien gehören oder unabhängig werden wollten. Das war für viele Einheimische wortwörtlich so, als hätte man sie gefragt, ob sie den Kerl zum Essen einladen wollten, der ihren Vater ermordet, die Schwester vergewaltigt und ihre ganze Familie erniedrigt hat. Ich konnte nicht über den Wahltag berichten, weil er mit meiner Hochzeit zusammenfiel, sodass, während ich Carmen in Madrid das Jawort gab, Indonesien von Osttimor das Neinwort erhielt. Beides, meine Ehe und Osttimors Scheidung, begann auf dem falschen Fuß.
Während ich mich am Strand von Senggigi auf der Insel Lombok in der Sonne grillte und Cocktails schlürfte, fasste die indonesische Armee den Entschluss, dass Osttimor, wenn es schon nicht mehr ihr gehören wollte, niemandes Eigentum sein durfte, und machte sich daran, das Land in Schutt und Asche zu legen. Als ich |120| eines Abends den Fernseher im Hotel einschalte, um die Nachrichten zu sehen, führt das Land, um das niemand während des letzten Vierteljahrhunderts viel Aufhebens gemacht hat, die Meldungen an. Die Führer der Welt tun so, als wären sie erst gestern darüber informiert worden, dass Osttimor niedergebrannt wird. Proindonesische Milizen und die indonesische Armee zerstören systematisch das Land, Dorf für Dorf, Haus für Haus. Die Vereinten Nationen, die den Volksentscheid organisiert haben, tun das, was sie in solchen Fällen zu tun pflegen: Als es brenzlig wird, evakuieren sie ihr Personal und überlassen die Timorer ihrem Schicksal.
Tagelang versucht meine Zeitung, mich ausfindig zu machen, weil sie gehört hat, dass ich in den Flitterwochen »auf einer indonesischen Insel« in der Nähe von Timor weile. Ich fühle mich wie ein Feuerwehrmann, der sich an einem Swimmingpool fläzt, während das Nachbarhaus in Flammen steht. Als Journalist hängt man abends nicht einfach die Uniform an den Nagel, um sie am nächsten Morgen nach dem Stempeln wieder anzuziehen, sondern man hängt mit Haut und Haar, vom Aufstehen bis zum Schlafengehen, an seinem Job. Es ist eine Lebensaufgabe, bei der man häufig Zeuge schreiender Ungerechtigkeiten wird. Niemand wird dazu verpflichtet, so wie ja auch niemand gezwungen wird, zur Feuerwehr zu gehen, um von einem Brandherd zum nächsten zu jagen. Aber wer sich darauf einlässt, muss das Privatleben bisweilen hintanstellen, um Menschen eine Stimme zu geben, die nicht bis morgen warten können, um ihre Geschichte zu erzählen. Man kann nicht die Privilegien des schönsten Berufs der Welt in Anspruch nehmen wollen und den wenigen
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