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Kinder des Monsuns

Kinder des Monsuns

Titel: Kinder des Monsuns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Jimenez
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mit Gift bestrichen, die Männer betranken sich, bis jede Rücksicht betäubt war, und versprachen dem Schutzgeist des Waldes von Borneo und ihrem Oberbefehlshaber, der Order zu folgen. Die Frauen und Kinder der anderen mussten sterben, das Eigentum der anderen musste brennen, und sollte einem die Flucht gelingen, durfte er keinen Grund haben, zurückzukehren, denn ausgelöscht bleiben sollte seine Heimstatt.
    Und alles würde wieder werden wie in der Zeit, bevor sie kamen.
    Die Zugewanderten wissen, dass es höchste Zeit ist, zu fliehen, als sie die ersten enthaupteten Köpfe sehen, die der Fluss Sampit an ihren Dörfern vorbeischwemmt. Manche laufen in den Wald, doch niemand kennt diesen besser als die Dayak. Sie werden wie Tiere gejagt. Andere raffen ihre Habe zusammen und versuchen, auf den Straßen bis zur Küste zu gelangen, in der Hoffnung, dass die Dayak vielleicht noch keine Zeit hatten, die Wege zu blockieren. Sie werden aus ihren Fahrzeugen gezerrt und am Straßenrand massakriert. Die Regierung schickt Soldaten und Polizisten zur Verstärkung, doch auch sie fliehen in wilder Panik, um ihren Kopf zu retten. Ohne eine Instanz, die sie verteidigen könnte, ohne Zeugen, die bereit sind, ihre Geschichte zu erzählen, oder internationale |117| Fernsehstationen, die über das Drama berichten, werden die Madureser im primitivsten und wildesten Teil Indonesiens systematisch vernichtet. Wir befinden uns in den ersten Tagen des Jahres 2001, am Beginn eines neuen Jahrhunderts. Ist das möglich?
    Als ich in Palangkaraya, der Hauptstadt von Kalimantan Tengah, ankomme, eine der vier Provinzen des indonesischen Teils von Borneo, haben die Eingeborenen Hunderte von Köpfen im Keller des Gebäudes aufgehäuft, das bis dahin das Hotel Rama war. Auf einer der Zufahrtsstraßen zur Stadt liegen zwei Mädchen von fünf und sechs Jahren, die Köpfe vom Rumpf getrennt wie abgerissene Puppenköpfe, der kindliche Gesichtsausdruck intakt, das Haar in Unordnung, die Augen aufgerissen, als hätten sie erst im letzten Augenblick gemerkt, dass nichts von alledem ein Spiel ist. Die Dayak enthaupten ihre Opfer, sie trinken ihr Blut und essen ihre Herzen, überzeugt, dass sie mit jedem Festschmaus ihre Macht vermehren und ihren unsichtbaren Befehlshaber ehren.
    Ich werde von einem Dutzend Krieger, bewaffnet mit vergifteten Speeren, Lanzen und Macheten, freundlich empfangen. Die Augäpfel von Acuk, ihrem Anführer, sind vor Wut gerötet. Als er mich sieht, ändert sich seine Miene, er beginnt zu lächeln. Es ist schwer zu begreifen, wie Kerle, die gestern noch Tischler, Mechaniker, Taxifahrer und Familienväter waren, heute davon erzählen, wie viele Nachbarn sie umgebracht haben, und untereinander darüber diskutieren, wer am meisten Menschenherzen verspeist hat und daher den nächsten Angriff anführen darf. Ich frage Acuk, ob ihn angesichts der Szenerie von Tod und Vernichtung keine Gewissensbisse plagen.
    »Die anderen müssen sterben«, erwidert er ohne weiteres.
    Nachdem er mir detailliert geschildert hat, wie er schon seit Tagen nur von den Herzen seiner Opfer lebt, stützt sich Acuk auf meine Schulter und fragt, ob ich nicht zum Abendessen bleiben möchte. Er gibt dabei zu verstehen, dass ihm wohl bewusst ist, dass ein Menü für mich aus »normaler Speise« bestehen sollte, vielleicht so etwas wie gebratener Reis mit Huhn.
    |118| »Ich bedaure, ich habe keinen Appetit«, erwidere ich, bemüht, meine Übelkeit im Zaum zu halten.
    »Morgen vielleicht?«, insistiert Acuk.
    »Ein andermal vielleicht…«
    Wenn die Anthropologen in einem übereinstimmen, so darin, dass die Dayak nach der Überwindung ihrer kannibalistischen Vergangenheit eines der liebenswürdigsten und gastfreundlichsten Völker sind. Warum also ist die dunkelste Seite der legendären Kopfjäger von Borneo zurückgekehrt, beinahe zwei Jahrhunderte, nachdem sie die erste westliche Delegation empfingen und am Ufer des Kapuas-Flusses den Kopf des niederländischen Missionschefs George Müller von seinem Rumpf trennten? Hat sich womöglich bis auf die Parabolantennen auf den Dächern der Hütten und die Tatsache, dass es die christlichen Missionare geschafft haben, sie sonntags zum Kirchgang zu bewegen, in all dieser Zeit nichts geändert?
    Vielleicht ist dies das wahre Problem: Alles hat sich geändert.
    *
    Suharto erfreut sich seiner Pension, reserviert für jene, die genug gemordet haben, um nicht ins Gefängnis oder die Nervenheilanstalt zu müssen, und betrachtet von

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