Kinder des Monsuns
geprügelten Mannes auf den Straßen von Jakarta. Gleichzeitig habe ich dort von der Politik und dem Zynismus unberührte Orte kennen gelernt, wie das Königreich der Badui im javanischen Kendeng-Gebirge, wo die Nachkommen der Prinzessin von Pajajaran ein Leben ohne Regierung, Fernsehen und Materialismus führen. Selbst der General, der den Aberglauben fürchtete, dass alle von furchtbaren Krankheiten befallen werden, die das Land der Badui durchqueren, schreckte vor der Schändung dieses Lebens zurück. Suharto, der so viele Orte überfiel und eroberte, beraubte und zerstörte, wagte es nie, seinen Fuß in diesen Wald zu setzen, der nur ein paar hundert Kilometer von seinem Palast in Jakarta entfernt liegt.
Diese primitive Seite Indonesiens muss etwas mit der gewaltsamen Geburt dieses Landes zu tun haben, das in Tausende von Inseln geteilt ist, die vor Tausenden von Jahren durch Eruptionen aus den Eingeweiden der Erde hervorbrachen. Es muss eine schwere Geburt gewesen sein, und es entstanden daraus so viele Inseln, dass die Herrscher über den größten Archipel der Welt neugierig waren, wie viele Flecken Land unter ihre Herrschaft fielen. Zuerst zählten die niederländischen Kolonisatoren von ihren Schiffen aus nach und rechneten die Zahl der Inseln mit den Fingern zusammen – und ließen natürlich Tausende von Felsen zum Zählen übrig. Später schickte man Kartografen in Flugzeugen auf den Weg, die alle Inseln notierten, die man von oben aus sah. Es schienen an die 13 000 zu sein. Mit dem Fortschritt der Flugzeugtechnik und der Kartografie und unter Einsatz der modernsten Satellitenfotografie kam man kürzlich bei einer Zählung auf eine |115| Zahl von 17 508 Inseln, auf denen etwa 300 Ethnien leben, die 583 unterschiedliche Sprachen und Dialekte sprechen.
General Suharto erschien diese Vielfalt immer wie ein wunderbares Puzzle, mit dem er sich die Zeit vertreiben konnte, wenn er nicht gerade seine Bürger ausraubte oder seine politischen Feinde eliminierte. So kam der Diktator, beeinflusst durch die Migrationspolitik, mit der schon die niederländischen Kolonisatoren und der Gründer des Vaterlands Sukarno begonnen hatten, auf die genialste und vernichtendste seiner Ideen: Warum nicht Millionen von Einwohner der Insel Java, der größten des Landes und Zentrum der politischen Macht Indonesiens, auf die entferntesten Inseln umsiedeln? Die Stämme von Sulawesi, Sumatra und Borneo würden zivilisiert, das Land würde unter javanischer Vorherrschaft geeint und Bevölkerung und Ressourcen wären besser verteilt.
Auf Madura, einer trockenen und armen Insel vor der Ostküste Javas, war es nicht schwer, Freiwillige zu finden, die ein neues Leben im fernen Borneo beginnen wollten. Die maduresischen Immigranten kamen im Schutz eines Programms, das ihnen Arbeit, kostenlose Schulen für ihre Kinder, ein Stück eigenes Land und alle möglichen Vergünstigungen der Verwaltung versprach. Bald zogen die Neuankömmlinge die lukrativsten Geschäfte an sich und wurden mit Hilfe offizieller Bevorzugung zur beherrschenden Schicht. Es kamen auch Javaner aus anderen Landesteilen, bauten Holzunternehmen auf und holzten die Wälder ab, die den Dayak, dem wichtigsten Eingeborenenstamm, heilig waren. Ohnmächtig verfolgte die indigene Bevölkerung die Zerstörung des Dschungels ihrer Vorfahren, durch den jetzt Straßentrassen geschlagen wurden. Neben den Ortschaften wurden neue Fabriken hochgezogen, und die Neonlichter der Karaoke-Bars erhellten dort, wo früher nur der Schein von Lagerfeuern flackerte, die Nächte.
Zu Beginn der neunziger Jahre fingen die Dayak an, gegen die Veränderung ihrer Umwelt zu rebellieren. Alle drei bis vier Jahre kam es zu Gemetzeln an den maduresischen Einwanderern. Die |116| Spannungen zwischen den Einheimischen und Zugewanderten wuchsen, und es kam der Augenblick, in dem die Dayak beschlossen, das Problem ein für allemal aus der Welt zu schaffen. Alle Männer versicherten, dass sie den Befehl ihres imaginären Oberbefehlshabers gehört hatten, jenes Nashornvogels mit weiblichen Rundungen und einem Federkleid in unmöglichen Regenbogenfarben, der bereits ihre Ahnen und Urahnen zu den Waffen gerufen hatte. Wenn es unter den Anwesenden jemanden gab, der den Oberbefehlshaber nicht für real hielt, so erhob er nicht seine Stimme, und schwerlich konnte ja ein irreales Wesen einen Völkermord befehlen.
Noch in derselben Nacht wurden die Schwerter gewetzt, Macheten an Bambusrohre gebunden, die Pfeilspitzen
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