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Kinder des Monsuns

Kinder des Monsuns

Titel: Kinder des Monsuns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Jimenez
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Unannehmlichkeiten aus dem Weg gehen. Sagt zumindest der Idealist in mir. Aber musste es denn ausgerechnet in dieser Woche geschehen statt in der nächsten, ausgerechnet auf einer Insel nur wenige Kilometer von Lombok entfernt statt auf der anderen Seite des Globus?
    Noch zwei Tage bis zum Ende unserer Flitterwochen. Carmen bemerkt meine wachsende Unruhe. »Wenn du glaubst, dass du gehen musst, dann geh«, ermuntert sie mich.
    |121| »Aber es sind doch unsere Flitterwochen«, protestiere ich kleinlaut, »und wir haben noch zwei Tage.«
    »Wenn du bleibst, wirst du sie nicht genießen. Geh schon, komm heil zurück, und wir verreisen noch einmal, wenn du wieder da bist.«
    Am folgenden Tag fliegen wir nach Bali, von wo aus ich einen Flug nach Kupang nehmen will, der im Südwesten von Timor gelegenen indonesischen Provinzhauptstadt. Alle Sitzplätze des einzigen Fluges an diesem Tag sind ausgebucht. Carmen und ich seufzen erleichtert auf, sie, weil alle Passagiere mit einer Platzreservierung auch wirklich auftauchen, ich, weil einer von ihnen das Einchecken verschläft. So wird ein Sitz frei, und ich eile mit dem Versprechen davon, mein Ausbüchsen doppelt wiedergutzumachen. Ich hatte keine Ahnung, dass ich zwei Tage später beinahe in die hässliche Lage kommen würde, mein Versprechen niemals mehr einlösen zu können, und dabei beiläufig zu entdecken, dass die Veranlagung zum Heldentum, die ich mir in meinen Kriegsreporterträumen angedichtet hatte, ein reines Fantasiegespinst war.
    Der Nachteil, mit Verspätung am Schauplatz eines Geschehens einzutreffen, ist, dass man die verlorene Zeit aufholen muss, ohne die Lage vor Ort ausreichend zu kennen. Während fast alle Journalisten, die über die Volksabstimmung berichtet hatten, eilends nach Bali geflüchtet sind, um ihre Haut zu retten, reise ich in die umgekehrte Richtung. In Kupang angekommen, miete ich unverzüglich ein Auto, um durch den Westteil der Insel nach Möglichkeit zur ostimorischen Hauptstadt Dili durchzukommen. Bei Anbruch der Nacht treffe ich in Atambua ein, eine Stadt nahe der Grenze zwischen West- und Osttimor, und miete ein Zimmer in einer Pension an der Hauptstraße. Da die Landung australischer Truppen kurz bevorsteht, ziehen sich die proindonesischen Milizen aus Osttimor zurück, und auch sie haben Atambua als ersten Anlaufpunkt gewählt.
    Der Wirt der Pension macht den Eindruck, als hätte ihn ein |122| Marsmensch um ein Zimmer gebeten. »Sie sind der einzige Westler hier«, klärt er mich auf. »Sind Sie sicher, dass Sie bleiben wollen?«
    Ich kann keinen Kontakt zur Zeitung aufnehmen, weil das einzige Telefoncenter der Stadt, von dem aus man Auslandsgespräche führen kann, außer Betrieb ist und mein Mobiltelefon kein Netz hat. Wenige Minuten nach meinem Eintreffen ist die Pension von Mitgliedern der Milizen umringt, die auf ihrem Rückzug aus Osttimor Hunderte Tote auf den Straßen zurückgelassen haben. Einer der Freischärler trägt ein Hemd des FC Barcelona, eine Möglichkeit, wie ich hoffe, einen Kontakt herzustellen. Ich trete in den Eingang und zeige ihm meinen Pass, in dem steht, dass ich in Barcelona geboren wurde.
    »Australier«, fragt er.
    »Nein, Spanier, aus Barcelona.«
    »Australier«, insistiert er. »Tod den Australiern!«
    »Nein, nein, Spanier, aus Barcelona«, versuche ich ihm zu erklären. »In Spanien, im Süden von Frankreich, neben Portugal, Europa …«
    »Australier!«, entscheidet er.
    Bald weder Australier noch Spanier, sondern eine Leiche, fürchte ich.
    »Die sind hinter Ihnen her«, warnt mich der Pensionswirt und fordert mich auf, unter dem Bett in meinem Zimmer in Deckung zu gehen.
    Ich trete ans Fenster, und da steht sie, eine stetig anschwellende Schar wütender Menschen, die »Tod dem Australier« skandieren, nun ihre bevorzugte Beute. Die Milizionäre kommen in Geländewagen angefahren, die sie von der UNO geraubt haben. Sie sind mit Sätzen beschmiert wie »Jetzt gehört er uns«, oder »Kommt und holt euch doch eure Autos zurück«. Was die Szene wie aus einer anderen Zeit erscheinen lässt und so irreal macht, sind die Waffen, die sie tragen. Es gibt Macheten, Lanzen und sogar Pfeil und Bogen. Einen Augenblick stelle ich mir vor, in einem der Western mitzuspielen, die ich als Kind so liebte: Ich blicke aus dem Fenster der Pension, |123| die sehr gut ein typischer Saloon des Wilden Westens hätte sein können, während unter Kriegsgeschrei und Jubelrufen eine Horde Wilder mit entblößten Oberkörpern

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