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Kinder des Monsuns

Kinder des Monsuns

Titel: Kinder des Monsuns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Jimenez
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außeruniversitären Beschäftigung gehörte es, die Abdankung von Präsidenten zu erzwingen. Auf Suharto folgte der Sturz Jusuf Habibies und später Abdurrahman Wahids, des ersten demokratisch gewählten Führers des Landes.
    Die Anführer der ersten Revolten graduierten. Neue Studenten stießen zur Reformasi-Bewegung und ahmten die älteren nach, nicht so sehr aus Freiheitshunger wie zuvor, als vielmehr aus dem Wunsch heraus, noch Protagonisten einer Epoche zu sein, die schon im Begriff war ihnen davonzueilen. In Wirklichkeit waren die Hausaufgaben gemacht: Die indonesische Demokratie machte trotz wackeliger Anfänge und einiger krisenhafter Augenblicke Fortschritte. Das Land feierte die ersten demokratischen Wahlen seiner Geschichte, und endlich konnte ich es einmal besuchen, ohne zu Leichenhallen eilen und Tränengaswolken ausweichen zu müssen. Die Kommilitonen von Teddy Mardani konnten zurückschauen und sich selbst sagen, dass es sich gelohnt hatte.
    Die Revolution war die Mühe wert gewesen.
    Über die Jahre ist Indonesien für mich ein so besonderes Land geblieben wie früher, doch unsere Beziehung ist gereift. Heute erscheint sie eher wie eine Ehe, wo der Reiz des Neuen verloren gegangen ist, die Liebe jedoch fortbesteht. Ich schaue nicht mit Melancholie auf die vergangenen Tage zurück. Vielleicht waren es für mich Zeiten voller Abenteuer und berückender Gefühle, aber für die Menschen, die ich schätze, waren sie hart. Meine Reisen nach Indonesien haben nichts Routinemäßiges an sich, doch jedes Mal, |126| wenn ich in Jakarta lande, erinnere ich mich an das Bild von Teddy Mardani – seinen aufgebahrten Leichnam – und bin gerührt.
    Es war meine erste Reise als Asienkorrespondent und auch das erste Mal, dass ich einen Erschossenen sah. Die Momente in jener improvisierten Leichenhalle haben sich wahrscheinlich auch deshalb so tief in mein Gedächtnis gegraben, weil ich sie erlebte, bevor der Kampf gegen die Dämonen des Zynismus begann, ein Ringen, das unvermeidlich wird, wenn man etliche Jahre in diesem Beruf steht und die Tragödien einer oftmals unbegreiflich grausamen und gleichgültigen Welt das Gepäck beschweren. Häufig muss ich mit ansehen, wie dieser Kampf verloren geht, und gebe mir redlich Mühe, mich von Zeit zu Zeit an Menschen aufzurichten, die dem Elend und der Niedertracht mit Mut und Mitgefühl begegnen. Neben der Korruption der philippinischen Elite erhob sich die Würde der Bewohner einer Mülldeponie namens »Gelobtes Land«; neben der Grausamkeit Pol Pots fand ich im geschundenen Kambodscha tapfere Menschen wie Veasna, die mit Bravour ihren tagtäglichen Überlebenskampf meisterten; gegenüber der Verkommenheit Suhartos triumphierte am Ende der freie und reine Geist der Studenten, die ihn stürzten. Dort, wo es Grund gab, an der Menschheit zu verzweifeln, gab es auch Ansporn zur Hoffnung – oder zumindest war ich bemüht, einen solchen Ansporn zu entdecken.
    Wenn mir persönlich Teddy noch lebhaft in Erinnerung war, so konnte man das von den Indonesiern nicht behaupten. Bei meiner Rückkehr ins Land habe ich den Eindruck, dass viele vergessen haben, wer den Wandel ermöglicht hat. Die Studenten von 1998 schlugen unterschiedliche Wege ein. Einige füllen heute die Reihen der Arbeitslosen, andere haben geheiratet und Familie, wieder andere haben im Tausch gegen die Sicherheit eines Postens und festen Gehalts den Schritt in die Politik getan, sogar zu Golkar, der alten Partei Suhartos.
    Aber es ist nicht das Vergessen der Lebenden, das am meisten schmerzt, sondern der Toten.
    |127| Die Mütter von Semanggi, eine Initiative von Familien, die an dem Abend, an dem Teddy Mardani starb, ebenfalls ein Kind verloren, sind bemüht, die Erinnerung wach zu halten. Über die Jahre haben sie vergeblich versucht, Gerechtigkeit zu erlangen und einen der Verantwortlichen vor Ort oder General Wiranto, der den Oberbefehl über die Streitkräfte führte, als die Studenten auf den Straßen Jakartas niedergeschossen wurden, auf die Anklagebank zu bringen. Die Zeugen, die Munition, die Orte, wo die Leichen lagen, alles weist auf die Soldaten. Die Autopsie, die eine von Teddys eigenen Schwestern vornahm, lässt keinen Zweifel: Die Kugel, die ihn tötete, war an der Seite eingetreten, hatte seine Eingeweide und einen Lungenflügel durchschlagen und war im Kiefer zwischen den Zähnen stecken geblieben. Die Munition entsprach derjenigen, die von den indonesischen Spezialkräften eingesetzt wird.
    Die

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