Kinder des Monsuns
Mütter von Semanggi treffen sich, tragen all diese Beweise zusammen, analysieren Dokumente und überlegen, was sie noch unternehmen können. Vor allem aber weinen sie zusammen, denn nur sie wissen, wie schmerzlich der Verlust eines Kindes ist und wie schwer es fällt, weiterzuleben, solange die Täter, die sie ihnen weggenommen haben, nicht für ihre Taten büßen müssen. Ihr Leben ist in der Schwebe geblieben, und obwohl ihre Kinder unter der Erde sind, konnten sie sie noch nicht begraben.
Die Mutter von Teddy Mardani geht ohne Wissen ihres Ehemanns zu den Treffen und schweigt, wenn sie zurückkommt. Wie keine andere wurde die Familie seit dem Tod ihres Sohnes auf die Probe gestellt. Alles, woran die Eltern des toten Studenten glaubten, ist mit seinem Verlust zerbröckelt. Die Eheleute sind gespalten: Maria ist überzeugt, dass die Familie nicht einfach weitermachen kann, bevor das Geschehene nicht aufgeklärt und die Verantwortlichen hinter Gitter sind; Edi dagegen ist bemüht, ein neues Kapitel aufzuschlagen und die Vergangenheit ruhen zu lassen. Als ich sie sieben Jahre, nachdem ich das Foto von ihrem toten Sohnes gemacht hatte, besuche, blutet die Wunde noch immer, als wäre die Zeit an jenem Tag im November 1998 für sie stehen geblieben.
|128| Herr Samsudin empfängt mich mit ernster Miene und einer traurigen Geste im Pyjama. Die hintere Wohnzimmerwand ist voller Fotos des toten Sohnes, neben ihnen ein Bild aus besseren Tagen von Hauptmann Edi Samsudin in Militäruniform.
»Haben Sie in der Armee gedient?«, frage ich ihn überrascht.
»Ja, vierzig Jahre«, erwidert er. »Jetzt bin ich pensioniert.«
Plötzlich macht alles Sinn, und die Fragen, die mich umtreiben, beantworten sich von selbst. Der Hauptmann steckte all die Jahre über in einer Zwickmühle unverbrüchlicher Loyalitäten, war hin und hergerissen zwischen der Notwendigkeit, zu erfahren, wer auf seinen Sohn geschossen hatte, und seiner Liebe zur Armee, in der er sein ganzes Leben gedient hatte; er war gespalten zwischen dem Drang, die Wahrheit zu suchen, und der Angst, sie zu finden; zwischen der Erinnerung an den Sohn, in den er all seine Hoffnung gesetzt hatte, und dem Gefühl, in irgendeiner Weise von ihm verraten worden zu sein. Seine Kälte vor Teddys Leichnam im Hörsaal der Universität, die Tatsache, dass er seinen Tod Gottes Ratschluss zuschrieb, seine Weigerung, Nachforschungen anzustellen, all dies erklärt sich mit dem Bild des Hauptmanns in Armeeuniform. War es denn nicht die Armee gewesen, die der Familie aufgeholfen und ihr eine Chance gegeben hatte? War Suharto denn nicht ein starker Führer gewesen, der es erreicht hatte, dass uns die Welt respektiert? »Diesen jungen Leuten kann man nichts recht machen«, hatte der Hauptmann oft gesagt, wenn er die Demonstranten im Fernsehen sah, ohne zu wissen, dass sich unter ihnen auch sein eigener Sohn befand.
Nach Teddys Tod, wenn Maria schluchzend das Militär verfluchte, das kaltblütig auf unbewaffnete Demonstranten geschossen hatte, leugnete Edi die Beweise, die man ihm vorlegte, und verbot allen in seinem Haus, noch einmal seine Waffenbrüder zu beschuldigen. Mit der Miene eines Besiegten und dem Blick eines Menschen, der jedes Interesse am Leben verloren hat, sitzt der Hauptmann in seinem Wohnzimmer und spult die Überlegungen ab, die er sich zurechtgelegt hat, um seine Existenz erträglicher zu machen.
|129| »Sind wir Soldaten etwa die Einzigen, die Waffen haben?«, fragt er in dem Versuch, Kraft aus der Schwäche zu ziehen und energisch zu erscheinen. »Sie sagen, die Armee habe meinen Sohn erschossen, aber es kann auch ein anderer Demonstrant gewesen sein. Warum soll ich die Version von ein paar Verbrechern glauben? Mein Sohn hätte niemals dort sein dürfen, sie haben ihn da hingelockt. Junge Menschen glauben alles, was man ihnen erzählt.«
»Die Beweise scheinen zu belegen, dass es die Soldaten waren.«
»Wissen Sie«, antwortet der Hauptmann mit nun wieder ermattender Stimme, »ich habe der Armee viele Jahre treu gedient, und es gibt Leute, die mich überzeugen wollen, dass es meine Kommandeure waren, die den Schießbefehl auf meinen Sohn gaben. Ich sage es Ihnen nur ein Mal: Das ist nicht wahr. Mein Sohn starb, weil Gott es so wollte, und nie werden wir wissen, wer ihn erschossen hat.«
Teddy Mardani hätte am Tag der Demonstration, mehr noch als seine Kommilitonen, auf der Seite der Soldaten auf der Semanggi-Brücke stehen können. Das jüngste von vier
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