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Kinder Des Nebels

Kinder Des Nebels

Titel: Kinder Des Nebels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brandon Sanderson
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wieder die Fenster. Dabei bemerkte sie etwas, das ihr bisher entgangen war. Entlang der gesamten gegenüberliegenden Wand verlief in großer Höhe ein Balkon. Er war wie ein Gegenstück zu der Galerie unter den Fenstern, schwebte allerdings zwischen den Bleiglasfenstern und der Decke. Gestalten bewegten sich auf ihm; Paare und einzelne Personen schlenderten dort entlang und betrachteten das Fest unter ihnen.
    Ihr Instinkt lockte sie auf diesen Balkon, von dem aus sie den Ball beobachten konnte, ohne selbst gesehen zu werden. Außerdem hätte sie von dort aus einen wunderbaren Ausblick auf die Banner und die Fenster über ihrem Tisch, und sie wäre in der Lage, die Steinmetzarbeiten zu bestaunen, ohne wie eine Gafferin zu wirken.
    Sazed hatte ihr befohlen, sich nicht von der Stelle zu rühren, doch je länger sie an ihrem Tisch saß, desto öfter wurde ihr Blick auf den Balkon gelenkt. Sie wollte aufstehen, die Beine ausstrecken und vielleicht ein wenig frische Luft schöpfen. Die Gegenwart ihres Vaters - egal, ob er sich ihrer bewusst war oder nicht - diente ihr als weitere Begründung, den Saal zu verlassen.
    Es wird mich niemand mehr zum Tanz auffordern,
dachte sie.
Ich habe getan, was Kelsier von mir wollte. Ich habe mich dem Adel gezeigt.
    Sie zögerte noch eine Weile, dann winkte sie einen Diener herbei.
    Eifrig näherte er sich ihr. »Ja, Herrin Renoux?«
    »Wie komme ich dort oben hin?«, fragte Vin und deutete auf den Balkon.
    »Es gibt eine Treppe neben dem Orchester, Herrin«, erklärte der Junge. »Ihr müsst sie bis zum obersten Stockwerk hochsteigen.«
    Vin nickte dankbar. Dann stand sie entschlossen auf und begab sich in den vorderen Teil des Saales. Niemand schenkte ihr mehr als nur beiläufige Beachtung, und mit gestärkter Entschlossenheit durchquerte sie den Saal zur Treppe hin.
    Die Steinstufen drehten sich nach oben; sie waren kurz und hoch. Kleine bleiverglaste Fenster, nicht breiter als Vins Hand, waren in die Wand eingelassen, aber sie waren dunkel, denn hinter ihnen brannte kein Licht. Geschwind und rastlos begann Vin mit dem Aufstieg, doch bald schon ächzte sie unter dem Gewicht ihres Kleides und der Anstrengung, es hoch halten zu müssen, damit sie nicht über den Saum stolperte. Ein Funke aus Weißblech genügte jedoch, ihren Weg mühelos zu machen, so dass sie nicht schwitzte und die Schminke auf ihrem Gesicht nicht verlief.
    Ihre Bemühungen wurden reich belohnt. Auf dem oberen Balkon war es dunkel - er wurde nur durch kleine, blau verglaste Laternen an der Wand erhellt -, und von ihm aus hatte sie einen großartigen Blick auf die Bleiglasfenster. Hier oben war es still, und Vin fühlte sich unbeobachtet, als sie sich der Brüstung zwischen zwei Säulen näherte und hinunterschaute. Die Steinfliesen auf dem Boden bildeten ein Muster, das sie bisher nicht bemerkt hatte; es war ein fließendes Wogen von Grau auf Weiß.
    Nebel?
, fragte sie sich und lehnte sich gegen die Brüstung. Sie war genauso reich verziert wie die Lampenhalterung hinter ihr; beide besaßen die Form dicker, gewundener Reben. Die Kapitelle der Säulen waren mit Steintieren geschmückt, die während des Sprungs vom Balkon erstarrt zu sein schienen.
    »Hier oben wird es nicht leicht für Euch sein, Euren Weinbecher gefüllt zu bekommen.«
    Vin zuckte unter dieser unerwarteten Stimme zusammen und wirbelte herum. Hinter ihr stand ein junger Mann. Sein Anzug war nicht gerade der feinste, den sie bisher gesehen hatte, und seine Weste war nicht so hell wie die meisten anderen? Sowohl Umhang als auch Hemd saßen locker, und seine Haare waren etwas zerzaust. Er hielt einen Weinbecher in der Hand, und seine Anzugjacke wurde von einem Buch ausgebeult, das zu groß für die Außentasche war, in der es steckte.
    »Da will man zu seinem Lieblingsplatz zurückkehren und muss feststellen, dass er einem von einem hübschen Mädchen streitig gemacht wurde«, sagte der junge Mann. »Ein Ehrenmann würde nun weitergehen und die Dame ihren Gedanken überlassen. Doch das hier ist der beste Ort auf dem ganzen Balkon - es ist der einzige Ort, der sich in der Nähe einer der Laternen befindet und daher gutes Licht zum Lesen spendet.«
    Vin errötete. »Es tut mir leid, Herr.«
    »Ah, ich sehe, dass Ihr Euch jetzt schuldig fühlt. Aber das müsst Ihr nicht. Es ist doch genug Platz für zwei Personen hier. Rückt einfach nur ein wenig zur Seite.«
    Vin schwieg darauf. Konnte sie diese Aufforderung höflich ablehnen? Offenbar wollte er, dass sie

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