Kinder Des Nebels
sichtbar. Sie hoben sich stark von der Haut ab und verliefen kreuz und quer von den Handgelenken bis zu den Ellbogen.
Sofort setzte Geflüster ein.
»Der Überlebende ...«
»Er ist hier!«
»Kelsier, der Herr der Nebel ...«
Das ist neu,
dachte Vin und hob eine Braue. Sie regte sich nicht, als Kelsier lächelnd vortrat und die Skaa begrüßte. Die Leute versammelten sich in stiller Erregung um ihn und berührten seine Arme und seinen Mantel. Andere standen nur da und beobachteten ihn ehrerbietig.
»Ich bin gekommen, um Hoffnung zu verbreiten«, sagte Kelsier ruhig zu ihnen. »Heute Nacht ist das Haus Hasting untergegangen.«
Es erhob sich überraschtes und ehrfürchtiges Gemurmel.
»Ich weiß, dass viele von euch in den Schmieden und Mühlen der Hastings gearbeitet haben«, sagte Kelsier. »Ich muss ehrlich zugeben, dass ich nicht weiß, was diese Entwicklung für euch bedeutet. Aber es ist ein Sieg für uns alle. Zumindest für eine Weile werden eure Männer nicht mehr vor den Schmieden oder unter den Peitschen der Zuchtmeister sterben.«
Das Gemurmel in der kleinen Menge wurde stärker, und schließlich drückte eine Stimme die Sorgen so laut aus, dass auch Vin es hören konnte. »Das Haus Hasting ist nicht mehr? Wer wird uns dann ernähren?«
So viel Angst,
dachte Vin.
So war ich nie - oder?
»Ich werde euch eine Schiffsladung mit Nahrungsmitteln schicken«, versprach Kelsier. »Das wird für eine Weile reichen.«
»Du tust so viel für uns«, sagte ein anderer Mann.
»Unsinn«, entgegnete Kelsier. »Wenn ihr mir dafür danken wollt, dann haltet euch ein wenig aufrechter. Habt etwas weniger Angst. Man
kann
sie schlagen.«
»Männer wie du können das«, flüsterte eine Frau. »Aber wir nicht.«
»Ihr wäret überrascht, wenn ihr wüsstet, was ihr alles könnt«, meinte Kelsier, während sich die Menge teilte, damit Eltern ihre Kinder nach vorn bringen konnten. Es hatte den Anschein, als wollte jedermann in diesem Raum, dass seine Kinder Kelsier persönlich kennenlernten. Vin beobachtete dies mit gemischten Gefühlen. Die Mannschaft hatte noch immer Bedenken, was Kelsiers wachsenden Ruhm unter den Skaa anging, aber sie schwieg darüber.
Sie scheinen ihm wirklich nicht gleichgültig zu sein,
dachte Vin, als sie zusah, wie Kelsier ein kleines Kind auf den Arm nahm.
Ich glaube nicht, dass er nur Theater spielt. So ist er nun einmal. Er liebt die Menschen, und er liebt die Skaa. Aber es ist eher die Liebe eines Vaters zu einem Kind als die Liebe eines Mannes zu seinesgleichen.
Was war daran falsch? Er war für die Skaa doch so etwas wie ein Vater. Er war der edle Adlige, den sie schon immer hätten haben sollen. Doch Vin war es unbehaglich zumute, als sie die schmutzigen, schwach angestrahlten Gesichter der Skaa-Familien betrachtete, in deren Augen Anbetung und Ehrerbietung lagen.
Schließlich verabschiedete sich Kelsier von dieser Gruppe und sagte ihnen, er habe noch eine Verabredung. Vin und er verließen den überfüllten Raum und traten hinaus in die angenehm frische Luft. Kelsier schwieg, während sie zu Marschs neuer Besänftigungsstation gingen, aber er schritt mit größerer Spannkraft dahin als vorher.
Schließlich brach Vin das Schweigen. »Besuchst du sie oft?«
Kelsier nickte. »Jede Nacht das eine oder andere Haus. Es unterbricht die Monotonie meiner anderen Arbeit.«
Darunter versteht er die Ermordung von Adligen und die Verbreitung von Gerüchten,
dachte Vin.
ja, ein Besuch bei den Skaa ist eine nette Abwechslung.
Der Treffpunkt lag nur wenige Straßen entfernt. Als sie ihn beinahe erreicht hatten, blieb Kelsier in einem Hauseingang stehen und blinzelte in die dunkle Nacht. Schließlich deutete er auf ein ganz schwach erhelltes Fenster in dem Haus, in dem Marsch auf sie wartete. »Er hat gesagt, er zündet eine einzelne Kerze an, wenn die anderen Obligatoren gegangen sind.«
»Fenster oder Treppe?«, fragte Vin.
»Treppe«, entschied Kelsier. »Die Tür sollte nicht verriegelt sein, und das ganze Gebäude gehört dem Ministerium. Es wird leer sein.«
Mit beidem lag Kelsier richtig. In dem Haus roch es nicht so moderig, als wäre es vollkommen unbewohnt, aber die unteren Stockwerke wurden offenbar nicht benutzt. Vin und Kelsier stiegen rasch die Treppe hoch.
»Marsch sollte uns inzwischen sagen können, wie das Ministerium auf den Krieg der Häuser reagiert«, sagte Kelsier, als sie den obersten Stock erreicht hatten. Lampenlicht flackerte durch die Ritze unter der Tür. Kelsier
Weitere Kostenlose Bücher