Kinder Des Nebels
unangenehm.
»Spuki«, sagte Vin, »du weißt, dass Elant seine Verbindung zu mir gelöst hat.«
Spuki nickte und reckte den Kopf ein wenig.
»Ich liebe ihn trotzdem«, führ Vin bedauernd fort. »Es tut mir leid, Spuki, aber das ist die Wahrheit.«
Er senkte jämmerlich den Blick.
»Es liegt nicht an dir«, meinte Vin. »Wirklich nicht. Es ist nur so, dass ... weißt du, man kann es nicht steuern, wen man liebt und wen nicht. Glaube mir, es gibt einige Männer, die ich lieber nicht geliebt hätte. Sie hatten es nicht verdient.«
Spuki nickte. »Ich versteh.«
»Darf ich das Taschentuch trotzdem behalten?«
Er zuckte die Achseln.
»Danke«, sagte sie. »Es bedeutet mir eine Menge.«
Er schaute auf und starrte hinaus in den Nebel. »Bin doch keen Blödmann. Hab gwusst, dass nix draus wird. Ich seh Dinge, Vin. 'ne Menge Dinge.«
Tröstend legte sie ihm eine Hand auf die Schulter.
Ich sehe Dinge ...
Eine passende Aussage für ein Zinnauge wie ihn.
»Bist du schon lange Allomant?«, wollte sie wissen.
Spuki nickte. »Hat gschnappt in mir, als ich fünf war. Kann mich kaum dran erinnern.«
»Und seitdem benutzt du Zinn?«
»Meistens«, bestätigte er. »War 'ne gute Sach für mich. Kann dadurch sehn, hörn, fühln.«
»Bist du in der Lage, mir ein paar Tipps zu geben?«, fragte Vin hoffnungsvoll.
Er dachte nach, während er am Rande des Satteldachs saß und ein Bein über dem Abgrund baumeln ließ. »Zinn verbrennen ... hat nix mit Sehn zu tun. Hat mit 'm
Nichsehn
zu tun.«
Vin runzelte die Stirn. »Was willst du damit sagen?«
»Wenn's verbrennt«, erklärte er, »dann kommt alles, 'ne ganze Menge von allem. Lenkt ab, hier un da. Wülste Kraft, musste Ablenkung nich beachten.«
Wenn du gut im Verbrennen von Zinn sein willst,
übersetzte sie seine Worte für sich,
dann musst du lernen, mit Ablenkungen umzugehen. Es geht nicht um das, was du siehst, sondern um das, was du nicht beachtest.
»Interessant«, meinte Vin gedankenverloren.
Spuki nickte. »Wennde siehst, siehste den Nebel un de Häuser un fühlst's Holz un hörsde Ratten unter dir. Nimm nur eins davon un lass dich nich ablenkn.«
»Ein guter Rat«, sagte Vin.
Spuki nickte, und in diesem Augenblick ertönte hinter ihnen ein dumpfes Geräusch. Beide zuckten zusammen und duckten sich. Kelsier kicherte, während er das Dach überquerte. »Wir müssen wirklich eine Möglichkeit finden, die Leute vor unserem Kommen zu warnen. Jedes Mal, wenn ich ein Spähernest besuche, habe ich Angst, dass jemand vor Schreck vom Dach fällt.«
Vin erhob sich und staubte ihre Kleidung ab. Sie trug ihren Nebelumhang sowie Hemd und Hose; es war lange her, seit sie zum letzten Mal in einem Kleid gesteckt hatte. Nur manchmal zeigte sie sich noch als Edeldame im Hause Renoux. Kelsier hatte so große Angst vor Attentätern, dass er ihr nicht erlaubte, lange dort zu bleiben.
Wenigstens haben wir uns Kliss' Schweigen erkauft,
dachte Vin, auch wenn sie sich noch immer über den hohen Preis ärgerte. »Ist es so weit?«, fragte sie.
Kelsier nickte. »Fast. Ich will auf dem Weg noch eine Pause einlegen.«
Für das zweite Treffen hatte Marsch eine Örtlichkeit ausgesucht, die er für das Ministerium ausspionieren sollte. Das war die perfekte Gelegenheit für eine Zusammenkunft, denn so hatte Marsch einen Grund, die Nacht in dem Gebäude zu verbringen, da er angeblich nach allomantischen Aktivitäten in der Umgebung suchte. Während der meisten Zeit würde er einen Besänftiger bei sich haben, aber etwa um Mitternacht hatte er ungefähr eine Stunde für sich allein. Es würde nicht reichen, um sich davonzustehlen und wieder zurückzukommen, doch es reichte aus, wenn ihm zwei leise Nebelgeborene einen raschen Besuch abstatteten.
Sie verabschiedeten sich von Spuki und stießen sich in die Nacht ab. Sie waren noch nicht lange über die Dächer gereist, als Kelsier sie plötzlich nach unten auf die Straße führte. Von dort aus gingen sie zu Fuß weiter, um Kraft und Metall zu sparen.
Es ist schon seltsam,
dachte Vin, als sie sich an die erste Nacht erinnerte, in der sie mit Kelsier ihre allomantischen Kräfte eingesetzt hatte.
Jetzt sind leere Straßen für mich nicht mehr unheimlich.
Die Pflastersteine waren glitschig vom feuchten Nebel, und die verlassene Straße schien vor ihnen im Dunst zu verschwinden. Es war dunkel, still und einsam hier; selbst der Krieg hatte keine große Veränderung gebracht. Wenn die Soldaten angriffen, so taten sie es in großen Gruppen; sie
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