Kinder Des Nebels
Walin auf den beschwerlichen Weg nach oben. Er drückte sich durch Spalten, kletterte über Vorsprünge in den Wänden. Manchmal musste er nach rechts oder links ausweichen, bevor sich die Decke über ihm wieder öffnete, aber sie tat es immer. Es gab wirklich nur zwei Richtungen: nach oben und nach unten.
Er lauschte wachsam nach den anderen. Er hatte schon gesehen, wie Kletterer getötet worden waren, erschlagen von jüngeren, stärkeren Männern, die ihnen die Geode stahlen. Zum Glück traf er auf niemanden. Das war gut. Er war ein älterer Mann - alt genug, um zu wissen, dass er niemals hätte versuchen dürfen, seinem Plantagenherrn das Essen zu stehlen.
Vielleicht hatte er seine Strafe verdient. Vielleicht hatte er es verdient, in den Gruben von Hathsin zu sterben.
Aber heute werde ich nicht sterben,
dachte er, als er schließlich die süße, frische Luft roch. Oben war es bereits Nacht. Es war ihm egal. Der Nebel machte ihm nichts mehr aus - selbst die Schläge machten ihm kaum mehr etwas aus. Er war einfach zu müde.
Walin kletterte aus der Felsspalte - aus einer der vielen in dem kleinen, engen Tal, das als die Gruben von Hathsin bekannt war. Dann erstarrte er.
Ein Mann stand über ihm in der Nacht. Er trug einen weiten Mantel, der in Streifen geschnitten zu sein schien. Der Mann sah auf Walin herunter. Er sagte nichts, wirkte aber in seiner schwarzen Kleidung ungeheuer mächtig. Dann streckte er die Hand aus.
Walin krümmte sich zusammen. Doch der Mann ergriff Wahns Hand und zog ihn aus der Spalte.
»Geh«, sagte der Mann leise im treibenden Nebel. »Die meisten Wächter sind tot. Nimm so viele Gefangene wie möglich mit und flieh von diesem Ort. Hast du eine Geode gefunden?«
Walin wand sich noch stärker und legte die Hand vor die Brust.
»Gut«, sagte der Fremde. »Brich sie auf. Darin findest du einen kleinen Metallklumpen. Er ist sehr wertvoll. Verkauf ihn an den Untergrund der Stadt, in die du gehen wirst; von dem Erlös kannst du viele Jahre leben. Beeil dich! Ich weiß nicht, wieviel Zeit dir bleibt, bis Alarm geschlagen wird.«
Walin taumelte verwirrt zurück. »Wer ... wer bist du?«
»Ich bin das, was du bald sein wirst«, sagte der Fremde und trat nahe an den Spalt heran. Die Bänder seines schwarzen Mantels umflatterten ihn und verbanden sich mit dem Nebel, während er sich noch einmal an Walin wandte. »Ich bin ein Überlebender.«
*
Kelsier blickte hinunter auf die dunkle Narbe im Fels und hörte zu, wie der Gefangene in der Feme verschwand.
»Ich bin also zurückgekehrt«, murmelte er. Seine Narben brannten, und die Erinnerungen waren wieder da. Die Erinnerungen an die vielen Monate, in denen er sich durch die Spalten gepresst hatte, in denen er sich die Arme an den messerscharfen Kristallen aufgeschnitten hatte, in denen er jeden Tag nach einer Geode gesucht hatte ... nach nur einer einzigen, durch die er weiterleben konnte.
Konnte er tatsächlich noch einmal in diese engen, stillen Tiefen hinabsteigen? Konnte er diese Dunkelheit noch einmal betreten? Kelsier hob die Arme und betrachtete die Narben, die deutlich und weiß an seinen Unterarmen hervortraten.
Ja. Um ihrer Träume willen konnte er es.
Er trat über den Spalt und zwang sich, hineinzuklettern. Dann verbrannte er Zinn. Sofort hörte er ein knirschendes Geräusch von unten heraufdringen.
Das Zinn erhellte den Spalt unter ihm. Er weitete sich, verzweigte sich, sandte Pässe in alle Richtungen. Teils war es eine Höhle, teils ein Spalt, teils ein Tunnel. Schon sah er das erste mit Kristallen besetzte Atium-Loch - oder das, was davon übrig geblieben war. Die langen, silbrigen Kristalle waren zerbrochen.
Sie zerfielen, wenn in ihrer Nähe Allomantie eingesetzt wurde. Aus diesem Grund musste der Oberste Herrscher Sklaven einsetzen, die das Atium für ihn einsammelten; Allomanten konnten hier unten nichts ausrichten.
Nun kommt die wirkliche Probe,
dachte Kelsier, während er sich weiter in den Spalt hineinpresste. Er verbrannte Eisen und sah sofort einige blaue Linien, die nach unten wiesen, in Richtung anderer Atium-Löcher. Auch wenn diese Löcher möglicherweise keine Atium-Geode bargen, sandten doch die Kristalle selbst schwache blaue Strahlen aus. Sie enthielten Spuren des Atiums.
Kelsier konzentrierte sich auf eine der blauen Linien und zog mit seiner inneren Kraft vorsichtig daran. Sein durch das Zinn geschärftes Hörvermögen verriet ihm, dass etwas in dem Spalt unter ihm zerschmettert wurde. Kelsier
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