Kinder Des Nebels
Verhungernde, die zum Bankett eines hohen Adligen eingeladen war. Verblüfft saß sie da und betrachtete den gewaltigen Reichtum in sich.
»Probier es aus«, spornte Kelsier sie an. »Besänftige mich.«
Vin streckte ihre Fühler aus und berührte die neu entdeckte Masse des »Glücks«. Sie nahm ein wenig davon und richtete es auf Kelsier.
»Gut.« Kelsier lehnte sich gespannt nach vorn. »Aber wir haben schon vorher gewusst, dass du das kannst. Jetzt erst kommt die richtige Prüfung, Vin. Beherrschst du es auch anders herum? Du kannst zwar meine Gefühle besänftigen, aber kannst du sie auch aufwiegeln?«
Vin runzelte die Stirn. Auf diese Weise hatte sie ihr »Glück« noch nie eingesetzt; ihr war nicht einmal der Gedanke daran gekommen. Warum war er so begierig darauf?
Misstrauisch tastete Vin nach der Quelle des »Glücks«. Während sie dies tat, bemerkte sie etwas Interessantes. Was sie zuerst als eine einzige gewaltige Quelle der Macht angesehen hatte, waren in Wirklichkeit zwei verschiedene Quellen. Es gab zwei verschiedene Arten des »Glücks«.
Acht. Er hat gesagt, es gibt acht davon. Aber ... was bewirken die anderen?
Kelsier wartete noch. Vin tastete nach der zweiten, unvertrauten Quelle und richtete ihre Macht auf ihn.
Kelsier Lächeln wurde breiter. Er lehnte sich zurück und warf Docksohn einen raschen Blick zu. »Das war es. Sie hat es getan.«
Docksohn schüttelte den Kopf. »Wenn ich ehrlich sein darf, Kell, dann weiß ich nicht, was ich davon halten soll. Einen von euch in der Nähe zu haben, ist schon beunruhigend genug, aber zwei ...«
Vin kniff die Augen zusammen und sah ihn zweifelnd an. »Zwei ... was?«
»Selbst beim Adel kommt die Gabe der Allomantie nur recht selten vor«, erklärte Kelsier. »Sie ist beim Hochadel zwar erblich, aber die Abstammung allein garantiert noch keine allomantische Kraft. Diejenigen, die Allomantie nur in einer ihrer acht grundlegenden Ausprägungen ausüben können, werden Nebelinge genannt. Manchmal tritt diese Gabe auch bei Skaa auf, aber nur dann, wenn der oder die Skaa adliges Blut in den Adern hat. Für gewöhnlich kommt ein Nebeling auf mindestens zehntausend Halbblut-Skaa. Je näher die Verwandtschaft zum Adel ist, desto wahrscheinlicher wird es, dass der oder die betreffende Skaa ein Nebeling ist.«
»Wer waren deine Eltern, Vin?«, fragte Docksohn. »Erinnerst du dich an sie?«
»Ich bin von meinem Halbbruder Reen aufgezogen worden«, sagte Vin leise. Das war nichts, worüber sie mit Fremden reden wollte.
»Hat er dir etwas von deiner Mutter oder deinem Vater erzählt?«, wollte Docksohn wissen.
»Manchmal«, gab sie zu. »Reen hat gesagt, unsere Mutter sei eine Hure gewesen. Nicht aus eigener Wahl, sondern weil in der Unterwelt ...« Sie verstummte. Als Vin sehr jung gewesen war, hatte ihre Mutter einmal versucht, sie zu töten. Daran erinnerte sie sich ganz schwach. Reen hatte ihr damals das Leben gerettet.
»Und was ist mit deinem Vater, Vin?«, fragte Docksohn.
Vin schaute auf. »Er ist ein Hochprälan aus dem Stahlministerium.«
Kelsier stieß einen leisen Pfiff aus. »Na, das nenne ich eine pikante Pflichtverletzung.«
Vin senkte den Blick auf die Tischplatte. Schließlich griff sie nach dem Krug und nahm einen tüchtigen Schluck Bier.
Kelsier lächelte. »Die meisten Obligatoren im Ministerium sind hohe Adlige. Dein Vater hat dir eine sehr seltene Gabe vermacht.«
»Also ... bin ich eine der Nebelinge, von denen ihr gesprochen habt?«
Kelsier schüttelte den Kopf. »Nein. Weißt du, das ist der Grund, warum du für uns so interessant bist, Vin. Nebelinge verfügen nur über eine einzige allomantische Gabe. Du hingegen hast uns gerade bewiesen, dass du mindestens zwei besitzt. Und wenn du zwei von acht Fähigkeiten ausüben kannst, dann hast du auch die Möglichkeit, über den Rest zu gebieten. Wenn man Allomant ist, hat man entweder nur eine oder gleich alle Gaben. So ist das nun einmal.«
Kelsier beugte sich vor. »Du, Vin, bist das, was man gemeinhin eine Nebelgeborene nennt. Solche sind sogar unter den Adligen ungeheuer selten. Und bei den Skaa ... nun, dazu will ich nur sagen, dass ich in meinem ganzen Leben bisher nur einen einzigen anderen Skaa-Nebelgeborenen getroffen habe.«
Im Raum schien es noch ruhiger, noch stiller zu werden. Vin starrte ihren Krug verwirrt und unbehaglich an. Eine
Nebelgeborene.
Natürlich hatte sie die Geschichten gehört. Die Legenden.
Kelsier und Docksohn saßen stumm da und ließen ihr Zeit
Weitere Kostenlose Bücher