Kinder Des Nebels
bestanden aus außergewöhnlich geschickten, tollkühnen oder talentierten Verbrechern. Aus Allomanten.
Es gab keinen Austausch zwischen diesen beiden Lagern. Die gewöhnlichen Diebe ließen die anderen in Ruhe. Doch manchmal heuerte eine dieser Nebeling-Banden eine reguläre an, um niedere Arbeiten zu verrichten, und dann wurde zuerst ein Mittelsmann ausgewählt, der die Verbindung zwischen den beiden Gruppen herstellte. Das war der Grund für Ulefs Vermutung.
Die Mitglieder von Milevs Bande bemerkten Vins Einsilbigkeit und wandten sich einem anderen Thema zu: den Nebelingen. In unsicherem, geflüstertem Tonfall sprachen sie von der Allomantie, und Vin hörte nervös zu. Wie konnte sie mit etwas in Verbindung stehen, das diesen Männern eine solche Ehrfurcht einflößte? Ihr »Glück« - ihre allomantische Gabe - war doch nur etwas Unbedeutendes, etwas, das ihr das Überleben sicherte und ansonsten ziemlich unwichtig war.
Aber eine solche Macht ...
dachte sie und betrachtete ihre Glücksreserve.
»Ich frage mich, was Kelsier in den letzten Jahren getrieben hat«, meinte Ulef. Zu Beginn des Gesprächs hatte er ihr gegenüber etwas gehemmt gewirkt, doch das war rasch vorbeigegangen. Er hatte sie verraten, aber das hier war die Unterwelt. Hier gab es keine Freunde.
Zwischen Kelsier und Docksohn scheint es allerdings anders zu sein. Offenbar trauen sie einander.
Sah das etwa nur so aus? Oder war dies hier einfach eine der seltenen Banden, denen es nichts ausmachte, wenn sie sich untereinander betrogen?
Das Beunruhigendste an Kelsier und Docksohn war die Offenheit gewesen, die sie Vin gegenüber gezeigt hatten. Sie schienen ihr nach einer sehr kurzen Zeit bereits zu vertrauen und sie zu akzeptieren. Das konnte doch nicht ernst gemeint sein. Niemand überlebte in der Unterwelt, wenn er solche Taktiken anwendete. Dennoch war ihre Freundlichkeit verwirrend gewesen.
»Zwei Jahre«, sagte Hrud, ein stiller Dieb mit ausdruckslosem Gesicht. »Er muss die ganze Zeit damit verbracht haben, sein Vorhaben zu planen.«
»Dann ist es wirklich eine große Sache«, meinte Ulef.
»Erzählt mir von ihm«, bat Vin leise.
»Von Kelsier?«, fragte Disten.
Vin nickte.
»Hat man sich im Süden etwa keine Geschichten über Kelsier erzählt?«
Vin schüttelte den Kopf.
»Er war der beste Bandenanführer von ganz Luthadel«, erklärte Ulef. »Sogar unter den Nebelingen war er eine Legende. Er hat einige der reichsten Großen Häuser in der Stadt ausgeraubt.«
»Und?«, fragte Vin.
»Jemand hat ihn verraten«, sagte Harmon gelassen.
Natürlich,
dachte Vin.
»Der Oberste Herrscher höchstpersönlich hat Kelsier erwischt«, sagte Ulef. »Er hat Kelsier und dessen Frau in die Gruben von Hathsin geschickt. Aber er ist
entkommen.
Er ist aus den Gruben geflohen, Vin! Er ist der Einzige, dem das je gelungen ist.«
»Und was ist aus seiner Frau geworden?«, fragte Vin.
Ulef warf Harmon einen raschen Blick zu, der sofort den Kopf schüttelte. »Sie hat es nicht geschafft.«
Also hat auch er jemanden verloren. Wie kann er so viel lachen? Und so aufrichtig sein?
»Weißt du, daher hat er die Narben«, meinte Disten. »Die an seinen Armen. Er hat sie in den Gruben bekommen; sie stammen von den Felsen, die er auf seiner Flucht erklettern musste.«
Harmon schnaubte. »Nein, so hat er sie nicht bekommen. Er hat auf der Flucht einen Inquisitor getötet. Daher stammen die Wunden.«
»Ich habe gehört, er hat sie sich beim Kampf mit einem der Ungeheuer zugezogen, die die Gruben bewachen«, sagte Ulef. »Er hat in den Mund der Bestie gegriffen und sie von
innen
stranguliert. Die Zähne haben ihm die Arme aufgerissen.«
Disten zog die Stirn kraus. »Wie kann man denn jemanden von innen strangulieren?«
Ulef zuckte die Achseln. »Das habe ich jedenfalls gehört.«
»Dieser Mann ist nicht normal«, murmelte Hrud. »Irgendetwas ist mit ihm in den Gruben vorgegangen, irgendetwas Schlimmes. Wisst ihr, vorher ist er kein Allomant gewesen. Er hat die Gruben als gewöhnlicher Skaa betreten, und jetzt ... Also, auf alle Fälle ist er ein Nebeling - falls er überhaupt noch ein Mensch ist. Er hat lange Zeit da draußen im Nebel verbracht. Manche behaupten, der wahre Kelsier sei tot, und dieses Ding, das jetzt sein Gesicht trägt, sei etwas ... völlig anderes.«
Harmon schüttelte den Kopf. »Das ist doch nur dummes Gerede der Plantagen-Skaa. Wir alle waren schon im Nebel draußen.«
»Nicht im Nebel außerhalb der Stadt«, beharrte Hrud. »Da
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