Kinder Des Nebels
wollte unbedingt herausfinden, warum er so mächtig war.
»Bier«, sagte sie schließlich.
»Bier?«, fragte Kelsier. »Das ist alles?«
Vin nickte und sah ihn vorsichtig an. »Ich mag es.«
Kelsier rieb sich das Kinn. »Daran werden wir noch arbeiten müssen«, meinte er. »Aber setz dich erst einmal hin.«
Zögerlich kam Vin herbei und nahm Kelsier gegenüber an dem kleinen Tisch Platz. Ihre Wunden pochten, aber sie konnte es sich nicht leisten, jetzt Schwäche zu zeigen. Schwäche tötete. Sie musste so tun, als würden ihr die Schmerzen nichts ausmachen. Als sie eine Weile am Tisch saß, wurde ihr Kopf endlich klarer.
Kurz darauf gesellte sich Docksohn zu ihnen. Er reichte Kelsier einen Becher Wein und Vin einen Krug mit Bier. Sie trank nicht.
»Wer bist du?«, fragte sie mit ruhiger Stimme. Kelsier hob eine Braue. »Du bist ziemlich offen, nicht wahr?«
Vin erwiderte nichts darauf.
Kelsier seufzte. »So viel zu meiner verblüffenden Aura des Geheimnisvollen.« Docksohn schnaubte leise.
Kelsier lächelte. »Ich heiße Kelsier. Ich bin das, was du einen Anführer nennen würdest, aber ich habe eine Bande, die ganz anders als alles ist, was du kennst. Männer wie Camon und seine Leute sehen sich gern als Jäger, die sich vom Adel und den verschiedenen Organisationen des Ministeriums nähren.«
Vin schüttelte den Kopf. »Sie sind keine Jäger. Sie sind Aasfresser.« Eigentlich hätte man glauben sollen, dass in so großer Nähe zum Obersten Herrscher Diebesbanden nicht existieren konnten. Doch Reen hatte ihr gezeigt, dass das Gegenteil der Fall war, denn der reiche und mächtige Adel konzentrierte sich um den Obersten Herrscher herum. Und wo es Macht und Reichtum gab, da gab es auch Verbrechen - besonders weil der Oberste Herrscher dazu neigte, seinen Adel viel weniger zu überwachen als die Skaa. Den Hochwohlgeborenen blieb nichts als die Zuneigung des Herrschers zu ihren Vorfahren.
Wie dem auch sei, Diebesbanden wie die von Camon waren wie die Ratten, die sich vom Müll der Stadt nährten. Und wie die Ratten konnte man sie niemals vollständig ausrotten - vor allem nicht in einer Stadt von der Größe Luthadels.
»Aasfresser«, wiederholte Kelsier lächelnd. Offensichtlich lächelte er viel. »Das ist eine passende Bezeichnung, Vin. Auch Dox und ich sind Aasfresser, lediglich von besserer Art. Man könnte sagen, wir sind von vornehmerer Herkunft - oder vielleicht auch nur ehrgeiziger.«
Sie runzelte die Stirn. »Ihr seid Adlige?«
»Herr, nein!«, antwortete Docksohn.
»Zumindest keine reinblütigen«, merkte Kelsier an.
»Halbblute gibt es doch angeblich nicht«, meinte Vin vorsichtig. »Das Ministerium macht Jagd auf sie.«
Kelsier hob eine Braue. »Halbblute wie du?« Vin verspürte einen Schock.
Woher ... ?
»Selbst das Stahlministerium ist nicht unfehlbar, Vin«, sagte Kelsier. »Wenn du ihm entwischt bist, kann das auch anderen gelingen.«
Vin sagte nachdenklich: »Milev hat euch Nebelinge genannt. Die sind so etwas wie Allomanten, oder?«
Docksohn warf Kelsier einen raschen Blick zu. »Sie ist sehr aufmerksam«, meinte der kleinere der beiden Männer und nickte anerkennend.
»Allerdings«, stimmte Kelsier ihm zu. »Der Mann hat uns Nebelinge genannt, Vin, aber das war etwas voreilig, denn weder Dox noch ich sind richtige Nebelinge. Wir haben allerdings viel mit ihnen zu tun.«
Eine Weile saß Vin schweigend da und ließ die prüfenden Blicke der beiden Männer über sich ergehen. Allomantie. Die mystische Macht der Adligen, die ihnen vor etwa tausend Jahren vom Obersten Herrscher als Dank für ihre Loyalität verliehen worden war. Das war eine der Grundlehren des Ministeriums; selbst eine Skaa wie Vin wusste das. Die Adligen besaßen die Gabe der Allomantie aufgrund der Taten ihrer Vorfahren, und die Skaa wurden aus demselben Grund bestraft.
Doch in Wirklichkeit wusste sie nicht, was Allomantie eigentlich war. Bisher hatte sie angenommen, es habe etwas mit der Fähigkeit zum Kampf zu tun. Es hieß, ein »Nebeling« - so wurden die Allomanten genannt - sei so gefährlich, dass er eine ganze Diebesbande töten könne. Doch die Skaa, die sie kannte, sprachen über sie immer nur im Flüsterton. Vor diesem Augenblick hatte sie nie die Möglichkeit ins Auge gefasst, Allomantie könnte dasselbe wie ihr »Glück« sein.
»Ist dir klar, Vin, was du mit diesem Obligator im Amt für Finanzwesen gemacht hast?«, fragte Kelsier und lehnte sich neugierig vor.
»Ich habe mein ›Glück‹
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