Kinder Des Nebels
leid, Oberster Herrscher«, sagte der Inquisitor ehrerbietig.
Oberster Herrscher! Aber ... ich bin ihm doch schon begegnet. Er ist ein junger Mann.
»Töte sie«, sagte der alte Mann und machte eine knappe Handbewegung.
»Herr«, erwiderte der Inquisitor, »dieses Kind ist ... von besonderem Interesse. Darf ich sie für eine Weile behalten?«
»Wieso ist sie von besonderem Interesse?«, fragte der Oberste Herrscher und setzte sich seufzend.
»Wir wünschen eine Eingabe bei Euch zu machen, Oberster Herrscher«, sagte der Inquisitor. »Bezüglich des Amtes für Orthodoxie.«
»Schon wieder?«, meinte der Oberste Herrscher müde.
»Bitte, Herr«, sagte der Inquisitor. Vin kämpfte weiterhin gegen ihn an und verbrannte noch mehr Weißblech.
Der Inquisitor drückte ihr die Arme gegen die Seiten, und ihre Tritte bewirkten gar nichts.
Er ist so stark!,
dachte sie entsetzt.
Und dann erinnerte sie sich daran. An das Elfte Metall, dessen Macht in ihr lag und eine unvertraute Reserve bildete. Sie hob den Blick und schaute den alten Mann böse an.
Es sollte funktionieren.
Sie verbrannte das Elfte Metall.
Nichts geschah.
Vin wand sich enttäuscht; ihr Mut schwand dahin. Und dann sah sie ihn. Einen weiteren Mann, der neben dem Obersten Herrscher stand. Wie war er hierhergekommen? Sie hatte nicht gesehen, wie er den Raum betreten hatte.
Er hatte einen Vollbart und trug einen dicken, mit einem Pelzmantel verbrämten Wollmantel. Seine Kleidung war nicht teuer, aber von guter Qualität. Still stand er da und schien ... zufrieden zu sein. Er lächelte glücklich.
Vin hielt den Kopf schräg. Es war etwas Vertrautes an dieser Gestalt. Ihr Gesicht ähnelte dem Mann, der Kelsier getötet hatte, doch dieser hier war älter und ... lebendiger.
Vin wandte sich zur Seite. Auch neben ihr stand jemand - ein junger, ihr unbekannter Adliger. Er sah aus wie ein Kaufmann, und zwar wie ein sehr reicher.
Was geht hier vor?
Das Elfte Metall brannte aus. Die beiden Fremden verschwanden wie Gespenster.
»Also gut«, sagte der alte Oberste Herrscher und seufzte. »Ich werde eurer Bitte entsprechen. Wir treffen uns in ein paar Stunden. Tevidian hat bereits um eine Zusammenkunft gebeten, weil er einiges außerhalb des Palastes besprechen will.«
»Ah«, meinte der zweite Inquisitor. »Ja, es ist gut, wenn er dabei ist. Sehr gut.«
Vin wand sich immer noch. Endlich stieß der zweite Inquisitor sie zu Boden, hob die Hand und ergriff etwas, das sie nicht sehen konnte. Er schwang es, und Schmerz blitzte in ihrem Kopf auf.
Trotz ihres Weißblechs wurde alles schwarz.
*
Elant fand seinen Vater beim Nordportal, einem kleineren Zugang zur Festung Wager, der, verglichen mit dem zur majestätischen großen Halle, weniger einschüchternd war.
»Was ist los?«, wollte Elant wissen, während er den Mantel überzog; seine Haare waren noch wirr vom Schlaf. Graf Wager stand bei seinen Hauptmännern und Kanalmeistern. Soldaten und Diener eilten wie in ängstlicher Vorahnung durch die weißen und braunen Gänge.
Graf Wager beachtete Elants Frage nicht, sondern rief einem Boten zu, er solle zu den Werften am östlichen Flussufer reiten.
»Was ist passiert, Vater?«, fragte Elant erneut.
»Ein Skaa-Aufstand«, fuhr Graf Wager ihn an.
Was?,
dachte Elant, während Graf Wager eine weitere Gruppe Soldaten zu sich heranwinkte.
Unmöglich.
Ein Skaa-Aufstand mitten in Luthadel ... das war undenkbar. Sie hatten doch gar nicht die Möglichkeit für eine so kühne Tat; sie waren doch nur ...
Valette ist auch eine Skaa,
fuhr es ihm durch den Kopf.
Du darfst nicht mehr wie die anderen Adligen denken, Elant. Du musst endlich die Augen öffnen.
Die Garnison war nicht in der Stadt; sie war damit beschäftigt, eine andere Rebellengruppe zu vernichten. Die Skaa waren gezwungen worden, vor einigen Wochen diese schrecklichen Hinrichtungen zu beobachten, um gar nicht erst das furchtbare Massaker zu erwähnen, das sich vor Stunden ereignet hatte. Sie waren zu sehr erniedrigt worden.
Temadre hat es vorhergesehen,
erkannte Elant.
Und auch ein halbes Dutzend anderer Politikwissenschaftler. Sie alle haben behauptet, das Letzte Reich könne nicht auf ewig Bestand haben. Eines Tages wird sich das Volk erheben, egal, ob an seiner Spitze ein Gott steht oder nicht. Und jetzt geschieht es endlich. Ich erlebe es!
Und ich stehe auf der falschen Seite.
»Wieso sind die Kanalmeister hier?«, fragte Elant.
»Wir verlassen die Stadt«, antwortete Graf Wager knapp.
»Wir geben die
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