Kinder Des Nebels
konnte ihn nicht so spüren, wie ich es kann. Er wusste es nicht.«
»Wohin geht Ihr?«
Vin blieb in der Tür stehen und drehte sich noch einmal um.
Nebel umwirbelte sie. »Im Palast gibt es eine Kammer, die von Soldaten und Inquisitoren bewacht wird. Zweimal hat Kelsier vergeblich versucht, dort hineinzugelangen.« Sie wandte sich den dunklen Nebelschwaden zu. »Heute Nacht werde ich herausfinden, was sich darin befindet.«
Ich habe beschlossen, dankbar für Rascheks Hass zu sein. Es tut mir gut, mich daran zu erinnern, dass es Menschen gibt, die mich verabscheuen. Es ist nicht meine Aufgabe, Liebe oder Beliebtheit zu erringen, sondern das Überleben der Menschheit zu sichern.
Kapitel 36
S till ging Vin auf Krediksheim zu. Der Himmel hinter ihr brannte; der Nebel warf das Licht von tausend Fackeln zurück und zerstreute es. Es war, als breite sich eine strahlende Kuppel über die Stadt.
Das Licht war gelb; es war die Farbe, die nach Kelsiers Worten die Sonne hätte haben sollen.
Vier nervöse Wächter standen vor demselben Palasteingang, den Vin und Kelsier schon früher angegriffen hatten. Die Männer sahen zu, wie sie näher kam. Vin ging langsam und gefasst über die nebelnassen Steine, und ihr Umhang raschelte majestätisch.
Einer der Wächter richtete den Speer auf sie; Vin blieb unmittelbar vor ihm stehen.
»Ich kenne dich«, sagte sie ruhig. »Du hast die Mühlen, die Minen und die Schmieden ertragen. Du wusstest, dass sie dich eines Tages umbringen würden, und dann wäre deine Familie dem Hungertod preisgegeben. Deshalb bist du zum Obersten Herrscher gegangen und hast dich seinen Wachen angeschlossen - schuldbewusst, aber fest entschlossen.«
Verwirrt schauten sich die vier Männer an.
»Das Licht hinter mir kommt von einer gewaltigen Skaa-Rebellion«, erklärte sie. »Die ganze Stadt erhebt sich gegen den Obersten Herrscher. Ich werfe euch eure Wahl nicht vor, aber nun ändern sich die Zeiten. Die Aufständischen könnten eure Fähigkeiten und euer Wissen gut gebrauchen. Geht zu ihnen. Sie sammeln sich auf dem Platz des Überlebenden.«
»Auf dem ... Platz des Überlebenden?«, fragte einer der Soldaten.
Unsicher wechselten die vier Männer Blicke.
Vin wiegelte ihre Gefühle mit ihrer allomantischen Kraft ein wenig auf. »Ihr müsst nicht mehr mit dieser Schuld leben.«
Schließlich trat einer der Männer vor, riss das herrscherliche Abzeichen von seiner Uniform und schritt entschlossen in die Nacht hinein. Die anderen drei zögerten noch, doch dann folgten sie ihm - und Vin stand vor dem nunmehr unbewachten Palasteingang.
Sie ging einen Korridor entlang und passierte jenes Wachtzimmer, das sie schon kannte. Sie trat ein, lief an einer schwatzenden Gruppe von Soldaten vorbei, ohne ihnen etwas anzutun, und betrat den dahinterliegenden Gang. Endlich überwanden die Wächter ihre Überraschung und schlugen Alarm. Sie stürzten hinaus in den Gang. Vin sprang hoch, drückte sich an den Lampenhalterungen ab und schoss den Korridor hinunter.
Die Stimmen der Männer wurden immer leiser; selbst wenn sie mit aller Kraft rannten, konnten sie Vin nicht einholen. Sie erreichte das Ende des Ganges, sprang leichtfüßig auf den Boden, und ihr Mantel hüllte sie vollkommen ein. Nun setzte sie ihren Weg gelassen und ohne große Eile fort. Es gab keinen Grund zu rennen. Man würde sowieso auf sie warten.
Sie durchschritt den Türbogen und betrat den inneren Raum mit der Kuppeldecke. Silberne Bilder schmückten die Wände, in den Ecken brannten Kohlepfannen, und der Boden bestand aus ebenholzfarbenem Marmor.
Zwei Inquisitoren versperrten ihr den Weg.
Vin schritt langsam durch den Raum und näherte sich dem seltsamen Gebäude mitten im Raum - ihrem Ziel.
»Wir haben die ganze Zeit nach dir gesucht«, sagte einer der Inquisitoren mit rauer Stimme. »Und jetzt kommst du zu uns. Zum zweiten Mal.«
Vin blieb etwa zwanzig Fuß vor den beiden stehen. Sie waren mindestens zwei Köpfe größer als Vin und lächelten siegessicher.
Vin verbrannte Atium. Ihre Hände schossen unter dem Mantel hervor und warfen etliche Pfeilspitzen in die Luft. Sie verbrannte Stahl und drückte kräftig gegen die Metallringe, die sie lose um die abgebrochenen Schäfte der Pfeile gewunden hatte. Sie schossen vorwärts, schnellten durch den Raum. Der Anführer der Inquisitoren kicherte, hob die Hand und drückte verächtlich gegen die Pfeile.
Durch seinen Druck lösten sich die lockeren Metallringe von den Schäften und flogen
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