Kinder Des Nebels
manchmal weiß ich nicht, warum ich ...« Hamm verstummte, als die Tür abermals geöffnet wurde und ein weiterer Mann den Raum betrat.
Der Neuankömmling trug einen lohfarbenen Mantel, eine braune Hose und ein einfaches weißes Hemd. Doch sein Gesicht war weitaus charaktervoller als seine Kleidung. Es war zerfurcht und schartig wie ein Stück Krummholz, und in seinem Blick lag eine Unzufriedenheit, wie nur ältere Leute sie zeigen. Vin vermochte sein Alter nicht abzuschätzen. Er war zwar noch so jung, dass er nicht gebeugt ging, doch er war alt genug, um sogar Weher jung wirken zu lassen.
Der Mann betrachtete Vin und die anderen, schnaubte verächtlich, ging zum Tisch auf der anderen Seite des Raumes und setzte sich. Seine Schritte waren durch ein deutliches Hinken gekennzeichnet.
Weher seufzte auf. »Ich vermisse Faller sehr.«
»Das tun wir alle«, meinte Hamm leise. »Aber Keuler ist auch sehr gut. Ich habe schon mit ihm zusammengearbeitet.«
Weher beobachtete den Neuankömmling. »Ich frage mich, ob ich
ihn
dazu bringen kann, mir meinen Wein zu bringen ...«
Hamm kicherte. »Ich würde einiges dafür geben, wenn ich dir bei dem Versuch zusehen dürfte.«
»Dessen bin ich mir sicher«, meinte Weher.
Vin beäugte den Fremden, der ihr und den beiden anderen Männern nicht die geringste Beachtung schenkte. »Wer ist das?«
»Wer? Keuler?«, fragte Weher. »Meine Liebe, er ist ein Raucher. Er wird dafür sorgen, dass wir anderen von keinem Inquisitor entdeckt werden.«
Vin biss sich auf die Lippe und dachte über diese neue Information nach, während sie Keuler ansah. Der Mann warf ihr einen finsteren Blick zu, und sie schaute weg. Dabei bemerkte sie, dass Hamm sie beobachtete.
»Ich mag dich, Kleines«, sagte er. »Die anderen Mittelspersonen, mit denen ich gearbeitet habe, waren entweder so eingeschüchtert, dass sie gar nicht mit uns gesprochen haben, oder sie waren wütend, weil wir uns auf ihrem Territorium bewegt haben.«
»Du bist wirklich nicht wie die anderen Krümel. Natürlich würde ich dich noch viel mehr mögen, wenn du mir meinen Becher mit Wein holen würdest ...«
Vin beachtete ihn nicht, sondern warf Hamm einen raschen Blick zu. »Krümel?«
»So nennen manche der überheblicheren Mitglieder unserer Gesellschaft die niedrigeren Diebe«, erklärte Hamm. »Sie nennen euch Krümel, weil ihr euch nur mit ... weniger inspirierenden Aufgaben abgebt.«
»Das ist natürlich nicht beleidigend gemeint«, sagte Weher.
»Ich hätte es niemals als Beleidigung ...« Vin verstummte, als sie bemerkte, dass sie soeben das überwältigende Verlangen empfand, dem gut gekleideten Mann zu gefallen. Sie warf Weher einen bösen Blick zu. »Hör auf damit!«
»Siehst du?«, sagte Weher und sah dabei Hamm an. »Sie hat immer noch die Möglichkeit der freien Entscheidung.«
»Du bist ein hoffnungsloser Fall.«
Sie glauben, ich bin nur eine Mittelsperson,
dachte Vin.
Also hat Kelsier ihnen nichts über mich gesagt. Warum nicht?
Aus Mangel an Zeit? Oder war es ein wertvolles Geheimnis, das er nicht mit den anderen teilen wollte? Wie vertrauenswürdig waren diese Männer? Wenn sie Vin als einfachen »Krümel« ansahen, warum waren sie dann so nett zu ihr?
»Auf wen warten wir sonst noch?«, fragte Weher und warf einen Blick in Richtung der Tür. »Außer auf Kell und Dox natürlich.«
»Auf Yeden«, sagte Hamm.
Weher runzelte die Stirn und machte eine saure Miene. »Ach ja.«
»Ich stimme dir zu«, meinte Hamm. »Aber ich könnte wetten, dass er über uns genauso denkt.«
»Ich verstehe nicht einmal, warum er überhaupt eingeladen wurde«, beklagte sich Weher.
Hamm zuckte die Schultern. »Das hat wohl etwas mit Kells Plan zu tun.«
»Ah, der berüchtigte ›Plan‹«, sagte Weher nachdenklich. »Was ist das wohl für eine Sache?«
Hamm schüttelte den Kopf. »Kell und sein verfluchter Sinn für Dramatik!«
»Allerdings.«
Wenige Augenblicke später öffnete sich die Tür, und Yeden, der Mann, über den sie soeben gesprochen hatten, trat ein. Er schien ein bescheidender Mann zu sein, und Vin konnte nicht verstehen, warum die beiden anderen mit seiner Anwesenheit nicht einverstanden waren.
Er hatte kurzes, lockiges braunes Haar und trug die einfache graue Skaa-Kleidung sowie einen geflickten, rußfleckigen Arbeitsmantel. Seine Umgebung bedachte er mit einem missbilligenden Blick, aber er war keineswegs so offen feindselig wie Keuler, der noch immer auf der anderen Seite saß und jedem einen
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