Kinder des Sturms
falls du das gemeint hast. Vielleicht muss ich das Bild von mir da oben, so wie du das Bild von deinem Theater, erst vor meinem geistigen Auge erstehen lassen, um zu sehen, ob es mehr als nur eine
Fantasie ist. Du bist stolz auf das, was du bisher getan hast und was du jetzt noch tust. Ich habe die Absicht, ebenfalls stolz auf das zu sein, was ich tue.«
Dies war nicht der Grund, aus dem sie hierher gekommen war. Sie hatte die Absicht gehabt, ihn zu überraschen, ein wenig mit ihm zu flirten, dafür zu sorgen, dass er während des ganzen Tages – voller Verlangen – an sie dachte.
»Ich mag dein Theater, Trevor, und ich werde gerne, wie besprochen, mit meinen Brüdern hier auf der Bühne singen. Was den Rest betrifft« – sie zuckte die Schultern und nahm ihm den leeren Becher aus der Hand –, »so bedarf es wohl noch etwas größerer Überzeugung. Wahrscheinlich haben wir heute Abend im Pub eine Session.« Sie würde dafür sorgen, dass sie eine hätten. »Warum also kommst du nicht zum Abendessen rüber, hörst dir die Sachen an und kommst anschließend noch mit in meine Wohnung? Dann schenke zur Abwechslung mal ich den Wein für uns beide ein.«
Ohne seine Antwort abzuwarten, schob sie ihre freie Hand in seine dichten Haare, küsste ihn auf die Lippen und wandte sich mit einem Blick, der, stünde ihm der Sinn nach mehr, die Erfüllung dieses Wunsches in Aussicht stellte, entschieden zum Gehen.
Als sie die Tür der Küche aufzog, empfing sie ein wunderbarer Duft. Äpfel, Zimt und brauner Zucker. Offenbar war Shawn unmittelbar nach ihr in den Pub gekommen und hatte sich sofort ans Werk gemacht. Auf dem Ofen stand bereits ein Topf, in dem irgendetwas köchelte, und auf einem dicken Holzbrett hackte er weitere Zutaten klein.
Er hob, als er sie kommen hörte, nur flüchtig den Kopf. »Als Tagesgericht kannst du Chili con carne, frische gebackene Scholle und Apfelkuchen auf die Tafel schreiben.«
Statt zu tun, wie ihr geheißen, wanderte sie in Richtung Kühlschrank und nahm eine Flasche Ginger Ale heraus. Hier, dachte sie, während sie an der Flasche nippte und ihren Bruder
ansah, war der einzige Mensch, der ihr gegenüber stets brutal ehrlich war und dem sie demzufolge blind vertraute.
»Was hältst du von meiner Stimme?«, fragte sie ihn nach kurzem Überlegen.
»Ich könnte durchaus damit leben, sie seltener zu hören.«
»Ich meine meine Singstimme, du Blödmann.«
»Tja, meines Wissens hast du bisher noch kein Glas damit zum Zerspringen gebracht.«
Sie erwog, ihm die Flasche an den Kopf zu werfen, aber sie war noch nicht fertig. »Ich habe dir eine ernsthafte Frage gestellt, und deshalb könntest du ruhig die Höflichkeit besitzen, sie auch ernsthaft zu beantworten.«
Da sie weniger zornig als vielmehr ungewöhnlich steif klang, ließ er das Messer sinken und wandte sich ihr zu. Ihre grüblerische Miene war etwas, das er kannte, nicht aber die echte Sorge, die ihr Blick verriet.
»Du hast eine wunderbare Stimme, kraftvoll und natürlich. Das weißt du genauso gut wie ich.«
»Niemand hört sich selbst so, wie andere ihn hören.«
»Ich höre es sehr gern, wenn du meine Musik singst.«
Das, dachte sie, war die einfachste und perfekteste Antwort, die sie sich wünschen konnte, und so stellte sie die Flasche, statt sie nach Shawn zu werfen, vorsichtig auf den Tisch und schlang dem Bruder die Arme um den Hals.
»Was ist denn los?« Er strich ihr sanft über den Rücken, tätschelte ihr, als sie seufzte, die Wange und zog ihren Kopf an seine Schulter.
»Was ist es für ein Gefühl, Shawn, deine Musik verkauft zu haben? Zu wissen, dass Fremde sie hören werden, Menschen, die dich gar nicht kennen? Ist es schön?«
»Teilweise, ja, teilweise ist es herrlich. Auch wenn es zugleich erschreckend und verwirrend für mich ist.«
»Aber trotzdem hast du es, tief in deinem Inneren, die ganze Zeit gewollt.«
»Ja. Den Wunsch zu unterdrücken hieße, sich nicht mit dem Schrecken und der Verwirrung abplagen zu müssen.«
»Ich singe wirklich gerne, aber bisher hatte ich nie die Absicht, damit groß herauszukommen. Musik ist einfach etwas, das wir machen, wenn uns danach ist. So war es bei uns Gallaghers schon immer.« Sie machte sich los und trat einen Schritt zurück. »Also sag mir, ob dir die Tatsache, dass du deine Musik verkaufst, einen Teil der Freude daran nimmt oder sie zu etwas herabwürdigt, das nichts weiter als ein normaler Job ist.«
»Ich dachte, dass das passieren könnte, aber —
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