Kinder des Wassermanns
die du in deiner Jugend geliebt hast, das Land verließen, bevor es zu spät war. Und im nächsten Frühling hätte der Angakok, was auch geschehen mochte, sein Geschöpf zurückgerufen und auseinandergenommen, nicht wahr?«
»J – j – ja«, stammelte sie an Eyjans Brust. »Doch dann tötete es meinen Vater!«
»Wir sagten dir doch, er hat dich vor seinem Tod gesegnet«, erklärte Tauno. Er fuhr sich mit den Fingern durch die Locken. »Und doch ... seltsam ... wie seltsam ... daß der Tupilak nicht aus Haß, sondern aus Liebe gesandt wurde.«
Schließlich hatte sich Atitak, Miniks zweite Frau, soweit beruhigt, daß sie bei der Zubereitung eines Festmahls helfen konnte. In dieser Nacht traten die Nordlichter in solchem Überfluß auf, daß sie die Hälfte des Himmels bedeckten.
11
Der Sommer war vergangen, es war wieder Herbst. Das dänische Heidekraut blühte purpurn, die Beeren der Eberesche leuchteten, die Espen zitterten im Goldschmuck. Vom Mond der Jäger herab tönte das einsame Wanderlied der Gänse. Am Morgen dampfte der Atem, und gefrorene Pfützen knirschten unter den Füßen.
Sonnenschein und Wolkenschatten jagten sich auf den Flügeln eines kalten Windes über das Land. Das Asmild-Kloster schenkte dem keine Beachtung. Viereckig, unter Eichen, deren letzte Blätter fielen, schienen seine Ziegelsteine vor der Heide, die sich dahinter erstreckte, doppelt rot zu sein. Das Kloster blickte über einen kleinen See auf Viborg – die Türme der Kathedrale und das Türmchen der Kirche von den Schwarzen Brüdern, die Mauern einer Schutzburg – , als sei die Marktstadt dort drüben unwirklich. Das galt nicht für die Schwestern selbst, die viele Werke der Nächstenliebe verrichteten, aber hier hatten sie ihren Zufluchtsort, dessen Harmonie die Welt nicht stören konnte.
Wenigstens hatte es so den Anschein gehabt.
Drei kamen von Viborg geritten, wie durch hin- und hergehende Botschaften zuvor ausgehandelt worden war. Sie machten in ihren guten, aber schlichten Kleidern und den Pferden von bester Rasse einen höchst ehrbaren Eindruck. Vor dem Nonnenkloster stieg der schlanke junge Mann mit dem flächsernen Haar ab und half der hübschen Frau, die offensichtlich älter war als er, mit gebotener Höflichkeit aus dem Sattel. Sein Diener, der sich um die Tiere kümmerte, war ein stämmiger Bursche, der auch den Leibwächter zu spielen hatte, und seine eigenen Manieren waren schicklich. Die beiden ersteren baten um Einlaß und traten mit der schuldigen Ehrerbietung ein.
Trotzdem empfing die Priorin sie unfreundlich. »Ich muß dem Befehl des Bischofs gehorchen. Doch die Heiligen sind Zeugen, daß dies äußerst ungewöhnlich ist. Wisset, ich werde beten, daß es Euch nicht gelingen möge, uns unseres schönsten Juwels zu berauben.«
»Das ist nicht unser Ziel, Ehrwürdige Mutter«, antwortete Niels Jonsen in seinem sanftesten Ton. »Ihr werdet Euch aus unserm Briefwechsel erinnern, daß wir beide eine Ehrenschuld bezahlen.«
»Wenig genug ist mir zum Lesen gegeben worden, und das so, als sei es ein Palimpsest«, fauchte die Priorin. »Ich bin nicht so unschuldig, daß ich nicht merke, wenn mit allen Mitteln intrigiert worden ist ... da wurden Geschäfte gemacht, Druck ausgeübt, Köder ausgehängt – ja, sogar unter den Herren der Kirche!«
»Das sind schwere Anschuldigungen, Ehrwürdige Mutter«, warnte Ingeborg Hjalmarstochter. Die Priorin wurde sich bewußt, daß sie tatsächlich zuviel gesagt hatte, und erbleichte. Ingeborg lächelte. »Ich verstehe. Ihr habt das Mädchen liebgewonnen, habe ich recht? Dann wird es Euch sicher freuen, daß sie jetzt eine Wahl hat, die ihr zuvor nicht freistand, und wenn sie sich dafür entscheidet hierzubleiben – was gut sein kann – , dann geschieht es aus echter Frömmigkeit.«
»Ihr sprecht von Frömmigkeit, Ihr? Ich habe Nachforschungen anstellen lassen. Eure Anwesenheit besudelt dieses Haus.«
»Mir ist immer gesagt worden, Zorn sei eine der Todsünden«, warf Niels ein, die eigene Stirn gerötet. »Sollen wir mit unsern geschäftlichen Angelegenheiten fortfahren, Ehrwürdige Mutter?«
Also geschah es nach dem Willen des Bischofs. Niels und Ingeborg wurden in den Hof geführt. Niemand sonst blieb da, um zuzuhören, obwohl bestimmt einige der Nonnen außer Hörweite aus den Fenstern spähten.
Margrete, deren Körper Yria gewesen war, trat unter die Arkaden des Klosters und blieb stehen. Noch keine Novize, trug sie ein Gewand mit Schleier, das dem schwarzen
Weitere Kostenlose Bücher