Kinder des Wassermanns
Habit der Augustinerinnen ähnelte. Obwohl sie ein paar Zoll gewachsen war und sogar diese formlose Tracht nicht ganz verbergen konnte, wie Brüste und Hüften sich rundeten, war es doch, als stehe dort ein Kind mit großen Augen in einem zarten Gesicht, die Lippen schüchtern ein wenig geöffnet.
Ingeborg trat zu ihr und ergriff ihre Hände. »Margrete, meine Liebe«, grüßte sie sie. »Ihr kennt uns nicht, aber Ihr wißt von uns. Wir sind Eure Freunde, gekommen, Euch zu helfen.«
Das Mädchen wich zurück. »Man hat mir gesagt, ich müsse Euch sehen«, flüsterte sie.
»Ha! Was hat man Euch sonst noch über uns erzählt?« schnaubte Niels. »Ihr seid ein Besitz, den sie nicht gern aufgeben wollen. Der Handel mit den Pilgern ...«
Ingeborg sandte ihm über die Schulter ein Stirnrunzeln zu. »Still«, verwies sie ihn. »Jetzt ist nicht die Zeit, sich herumzustreiten.« Zu Margrete: »Alles, was wir von Euch wollen, ist, daß Ihr uns zuhört und nach Eurem Belieben Fragen stellt. Wir treffen uns ohne Zeugen, weil es Personen gibt, die zu Schaden kommen könnten, würde die Geschichte sich verbreiten. Ihr müßt schwören, daß Ihr selbst kein Wort verraten werdet, es sei denn, es wäre eine Sünde, wolltet Ihr schweigen, weil Ihr mit Eurem Wissen etwas Schlechtem entgegentreten könntet. Ihr sollt keine Sünde begehen, das verspreche ich Euch. Ich will Euch von denen erzählen, denen Euer Wohlergehen so sehr am Herzen liegt, daß sie dafür ihr Leben aufs Spiel gesetzt haben – von Euren Brüdern und Eurer Schwester, Margrete.«
»Ich habe keine«, stammelte die Jungfrau. »Nicht mehr.«
»Wollt Ihr sie verleugnen? Hört, Ihr würdet heute im Meer leben, falls Ihr nicht längst gestorben wäret, wie ein Tier stirbt, wenn sie Euch nicht an Land gebracht hätten. Setzt Euch.« Ingeborg drückte Margrete auf eine Bank. »Paßt auf.«
Ein Windstoß fuhr in den Hof, kalt und frech. Eine Wolke segelte über ihnen dahin wie ein weißes Banner. Krähen lachten.
Die Geschichte von den Kindern des Wassermanns war schnell erzählt, denn Niels und Ingeborg milderten sie sehr ab. Anfangs wurde Margrete noch bleicher, doch später stieg ihr, deutlich sichtbar, das Blut in die Wangen.
»Das Ergebnis ist folgendes«, schloß Niels. »Die weltlichen und geistlichen Herren, die mit dieser Angelegenheit in Berührung gekommen sind, wissen nur soviel, daß ich das einem Kameraden gegebene Gelübde erfüllen möchte und daß mein Beichtvater mir Absolution erteilt hat. Der Bischof von Roskilde hat mir große Hilfe geleistet; wir sind in gewisser Art Freunde geworden. Außerdem bringen Stiftungen in meinem Namen, aus ... hm ... Dankbarkeit gegenüber den Heiligen ... der Kirche im Ganzen sehr viel Gold ein, ohne gefährliche Aufmerksamkeit zu erregen. Der Bischof stimmt auch zu, daß es nur recht und billig ist, wenn Ihr ein Erbe von Eurer Familie erhaltet – denn natürlich weiß er inzwischen, daß sie, die Halbblutgeschwister, die Unternehmung angeführt haben, obwohl ich mich gehütet habe, ihn mehr erfahren zu lassen.
Nun, Euch erwartet in Kopenhagen ein Vermögen. Bischof Johan hat eine Familie gefunden – der Mann ist ein reicher Kaufmann – , die Euch gern adoptieren, für Euch sorgen, eine gute Heirat für Euch zustandebringen will. Wenn Ihr möchtet, könnt Ihr gleich mit uns kommen.«
»Ich habe die Familie kennengelernt«, setzte Ingeborg hinzu. »Es sind gute, freundliche, verständige Menschen. In ihrem Heim herrscht Friede.«
»Leben auch«, lächelte Niels. »Ihr werdet viel Freude dort haben.« »Sind sie fromm?« erkundigte sich Margrete.
»Der Bischof hat sie ausgesucht, nicht wahr?«
Das Mädchen saß eine Weile stumm da, in Kälte und Wind. »Vor so etwas bin ich gewarnt worden«, sagte sie schließlich, den Blick auf das Kopfsteinpflaster gerichtet. »Mutter Ellin war ganz und gar dagegen ...«
»Seid Ihr glücklich hier?« forschte Ingeborg.
»Was ist aus ihnen geworden ... aus Tauno und Eyjan?«
Margrete bemerkte den schmerzlichen Ausdruck der beiden anderen nicht. »Wir wissen es nicht«, antwortete Niels. »Seit mehr als einem Jahr haben wir nichts mehr von ihnen gehört.«
Ingeborg legte dem Mädchen einen Arm um die Schultern. »Seid Ihr glücklich hier?« wiederholte sie. »Wenn Ihr es wirklich und wahrhaftig seid, dann bleibt. Ihr könnt Euer Erbe dem Kloster übereignen oder sonst damit tun, was immer Ihr wollt. Wir sind nur gekommen, um Euch Eure Freiheit zu geben, Liebes.«
Margrete
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